Songtexte schreiben: Die verschiedenen Erzählperspektiven

Wie schreibe ich einen Song

Beim Songtexte schreiben stellt sich oft die Frage nach der richtigen Ansprache. Dieser Workshop geht auf die verschiedenen Erzählweisen in einem Text und ihre mögliche Wirkung ein.

Zunächst Grundsätzliches zur Struktur eines Songtextes: Drei wichtige Bestandteile, die in so gut wie jedem Song vorkommen, sind: Hook, Verse und Bridge. Weiterhin sollte man sich Gedanken zum Thema des Textes machen und wie man am besten auf verschiedene Themen kommen kann. Drittens steht schließlich die Stoffsammlung an sowie die verschiedenen Möglichkeiten und Ansätze, ein Thema zu verarbeiten.

Heute gehen wir einen Schritt weiter und beschäftigen uns zuerst mit folgendem Thema:

Erzählperspektiven

Jedes Thema kann natürlich von verschiedenen Perspektiven, Blickwinkeln oder Standpunkten aus erzählt werden. Es macht einen sehr großen Unterschied, ob ein Sänger in erster Linie über sich singt, z.B. „Mir geht es gut!“, oder ob er beispielsweise eine Geschichte über eine andere Person erzählt, z.B. „Ihm/Ihr geht es gut!“.

Es ist ein Unterschied, ob er den Zuhörer oder ein anderes Gegenüber persönlich anspricht, z.B. „Du verstehst mich nicht!“, oder ob er eher allgemein singt, z.B. „Sie verstehen mich nicht!“.

Die Wahl der Perspektive kommt ganz darauf an, was für eine Geschichte du erzählen willst – jede Perspektive hat ihre eigenen Vor- und Nachteile und kommt beim Zuhörer auf andere Art und Weise an.

Ich-Perspektive
Diese Erzählweise ist am Gebräuchlichsten, wenn der Sänger/die Sängerin eine Geschichte, egal ob wahr oder erfunden, über sich selbst erzählt. Wenn du diese Perspektive wählst, präsentierst du dich dem Zuhörer auf sehr persönliche Art und Weise. Du nimmst in dem Text Bezug auf dich selbst und erzählst den Leuten, was dir passiert ist, wie es dir gerade geht oder was für Gedanken du zu einem bestimmten Thema hast. Ein aktuelles Beispiel für diese Erzählweise ist der Song Starkvon Ich + Ich mit dem folgenden ersten Vers:

Ich bin seit Wochen unterwegs

Und trinke zuviel Bier und Wein

Meine Wohnung ist verödet

Meinen Spiegel schlag ich kurz und klein

Ich frage gerade dich, macht das alles einen Sinn?

Mein Leben ist ein Chaos, schau mal genauer hin

Hier erfahren wir sehr genau, wie es dem Erzähler gerade geht und werden eher dazu angehalten ihm zuzuhören, wenn er seine Geschichte erzählt.

Was allerdings auffällt, ist die letzte Zeile vor der Hook: „Schau mal genauer hin“ – hier wechselt der Erzähler die Form, die er dann auch in der Hook verwendet. Er wechselt zur:

Du-Perspektive
Der Song von Ich + Ich geht in der Hook folgendermaßen weiter:

Und du glaubst ich bin stark und ich kenn’ den Weg

Du bildest dir ein, ich weiß wie alles geht

Hier hört man als Zuhörer genauer hin, weil man vom Sänger direkt angesprochen wird – oder nicht? Das ist die Frage: Spricht der Sänger hier jeden Zuhörer an, also dich und mich, oder denkt er bei diesen Zeilen eher an einen bestimmten Menschen?

Das ist das Interessante an diesem Song, denn es könnte beides gemeint sein. Auf der einen Seite kann es sein, dass der Sänger hier darüber redet, wie andere ihn sehen, z.B. die Leute, die ihn aus Radio und Fernsehen nur als den „Star“ kennen, bei dem anscheinend alles super läuft und der immer weiß, wo es lang geht. Andererseits kann es genauso gut um eine bestimmte Person gehen, z.B. seine Freundin oder einen Freund, die immer erwarten, dass er alles im Griff hat.

Ein weiteres Beispiel für die Du-Perspektive ist der Song Junge von den Ärzten. In diesem Text spielt der Sänger die Rolle der Eltern.

Junge – und wie du wieder aussiehst!

Löcher in der Hose und ständig dieser Lärm.

Was sollen die Nachbarn sagen?

Und dann noch deine Haare, …

Hier kann man sich bildlich vorstellen, wie der Sänger mit seinem Kind „redet“ – na ja, wohl eher wie er seinem Kind eine Standpauke hält.

Der Vorteil der reinen Du-Form ist, dass sich der Zuhörer direkt angesprochen fühlt. Der Nachteil dieser Perspektive kann sein, dass man zu sehr mit dem „erhobenen Zeigefinger“ auf die Leute zugeht – was beim Text des Ärzte-Songs allerdings beabsichtigt ist.

Er/Sie/Es-Perspektive
Ein wenig zwischen den ersten beiden Erzählweisen befindet sich diese Perspektive. Sie ermöglicht es dir, eine Geschichte über einen bestimmten Menschen oder eine Sache zu erzählen. Diese Form hat etwas von einem Roman und lässt einen einfach nur „Zuhörer“ sein – ganz so als würde man ein Buch vorgelesen bekommen.

Ein gutes Beispiel für diese Perspektive ist der Song Janine von Bushido.

Ich erzähl dir ’ne Geschichte, sie ist wirklich wahr,

über Janine, ein Mädchen, dass erst vierzehn war.

Sie hatte keinen Ausweg mehr gesehen,

sie wollte immer irgendwem vertrauen, aber wem?

Ein Nachteil dieser Perspektive kann sein, dass man dem Zuhörer eben nichts Persönliches von sich selbst erzählt.

Das waren jetzt erstmal die Erzählformen, in denen es jeweils um eine Person geht: um mich, um dich oder um jemand anders oder eine Sache. Wenn du deinen Text an eine Gruppe von Leuten richten willst, dann hast du die folgenden drei Möglichkeiten zur Auswahl:

Wir-Perspektive
Die Wir-Perspektive ist eine gute Form, persönliche Dinge zu erzählen, ohne den Zuhörer auszugrenzen. Das Wort „Wir“ bewirkt automatisch ein Gemeinschaftsgefühl! Bestes Beispiel dafür ist wahrscheinlich der Weltmeisterschafts-Song der Sportfreunde Stiller ’54, ‚’74, ‚’90 2010:

’54, ’74, ’90, 2010

ja so stimmen wir alle ein.

Mit dem Herz in der Hand

und der Leidenschaft im Bein

werden wir Weltmeister sein.

Mit diesem Song konnten sich viele Fußballfans in Deutschland identifizieren, eben deshalb weil er in der Wir-Perspektive geschrieben ist. Ganz Deutschland war 2006 im Fußballfieber und der Song wurde automatisch eine Art inoffizielle Hymne für dieses Sportereignis.

Ein weiterer Song, der zum Großteil diese Sichtweise hat, ist Was wir alleine nicht schaffen von Xavier Naidoo. Dort heißt es in der Hook:

Was wir alleine nicht schaffen

Das schaffen wir dann zusammen

Dazu brauchen wir keinerlei Waffen

Unsere Waffe nennt sich unser Verstand

Auch hier nimmt uns der Texter mit auf seine Seite – und zwar viel mehr, als würde er nur über sich selbst singen.

Das Gegenteil dieser Erzählform-Form ist die:

Ihr-Perspektive
Diese Perspektive taucht sehr selten alleine in einem Song auf. Oft benutzt man das „Ihr“ in der Hook, um sich von den anderen abzugrenzen oder die anderen aufzufordern mitzumachen. Doch egal, wie man es benutzt: Es besteht erstmal kein Gemeinschaftsgefühl wie bei der vorherigen Erzählform.

Ein Beispiel, um sich abzugrenzen, ist die Hook des Songs Der Beweis von Kool Savas:

Ihr wolltet mir nich’ glauben, als ich meinte

Ich werd’ kommen und hier alles verändern

Doch hier ist der Beweis

Jetzt steht ihr da, kommt nich’ mehr klar…

Wie gesagt: Nur aus dieser Sicht zu schreiben kommt selten vor, und meistens wechselt die Perspektive im Vers.

Sie-Perspektive
Hier ist „Sie“ nicht als höfliche Anrede für eine Person gemeint, sondern im Plural, also für eine ganze Gruppe von Personen. Der Vorteil dieses Standpunkts ist, dass man sich den Text sehr leicht zu Eigen machen kann. Man ist hier nur in der Position eines Beobachters. Der Nachteil ist allerdings, dass diese Form alleine sehr unpersönlich ist. Der Song Vielleicht von den Söhnen Mannheims bedient sich in der Hook dieser Perspektive:

Vielleicht hör’n sie nicht hin,

Vielleicht seh’n sie nicht gut,

Vielleicht fehlt ihnen der Sinn

Oder es fehlt ihnen Mut.

Doch auch bei Vielleicht – genau wie bei Stark – wechselt die Perspektive und zwar im Vers. Hier wechseln sich allerdings sogar mehrere verschiedene Perspektiven ab: Zum Teil ist der Vers in der Ich- und ein anderer Teil in der Du-Form geschrieben.

Somit haben wir jetzt alle möglichen Formen angeschaut, in der wir den Zuhörer ansprechen können oder eben auch nicht. Wir haben gesehen, dass wir einen Text mit „erhobenem Zeigefinger“ schreiben, oder ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen können, wenn wir anders schreiben. Wir haben gesehen, dass wir sehr persönliche Dinge schreiben, oder dem Zuhörer einfach eine Geschichte über irgendjemand anders erzählen können.

All das sind mögliche Perspektiven für Songs und vielleicht hörst du dir die Songs, aus denen ich zitiert habe, einfach mal durch, um zu sehen, wie diese Künstler das umsetzen. Und denk daran, dass sich in den meisten Songs diese Formen abwechseln, d.h. du musst nicht von Anfang bis Ende aus einer Richtung oder in eine Richtung schreiben.

Wenn du also weißt, welches Thema du in deinem Text angehen willst, kannst du dir anhand dieses Workshops überlegen, an wen sich der Text richtet oder ob er einfach erzählen soll.

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