Ein Selbstversuch …

„Last Christmas“ von Wham! Gibt es eine Rettung vor dem Ohrwurm?“

| Foto / Grafik von Ina Germer

Alle Jahre wieder klammert sich ein weihnachtlicher Ohrwurm an unsere Hirnwindungen. Unbeirrbar meldet sich George Michael spätestens Ende November mit „Last Christmas“ zu Wort. Der Song kriecht aus sämtlichen Lautsprechern und von denen gibt es reichlich. Wie hoch ist die Infektionsgefahr wirklich? Habe ich musikalisch-diplomatische Immunität oder bin auch ich chancenlos? Ein Selbstversuch soll Licht ins weihnachtliche Dunkel bringen:

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Kein Entrinnen vor dem Ohrwurm

Mit mir doch nicht! Oder doch?

Anfangs mag man es als waschechter Musiker nicht wirklich zugeben. Alle Welt fällt auf das gefühlsduselige Geklimper rein; aber wir doch nicht. Schließlich sind wir höchst abgeklärt. Von Promikult halten wir wenig und von emotionalen Songs lassen wir uns schon gar nicht hinters Licht führen.

Wir wissen ja selbst, wie man solch emotionsschwangere Gefühlsduseleien entwirft. Nicht Fisch nicht Fleisch, Tiefgang vermeiden und immer unbarmherzig auf die romantische Tränendrüse drücken. Bei uns wirkt das nicht. Oder doch? Ich will es wissen, ich mache einen Selbstversuch:

Ab auf den Testparcours mit Taxi und Bahn

Die Weihnachtstage werden wieder im Kreis der Familie verbracht. Ich freue mich drauf, aber zunächst muss ich dafür eine lange Zugfahrt zu den Eltern und Großeltern antreten. Die optimale Teststrecke für das Ohrwurm-Experiment. Koffer ist gepackt, das Fernsehprogramm am Vorabend habe ich vorsätzlich verpasst und das morgendliche Radio bleibt ausnahmsweise stumm. Aus Gründen.

Damit ich einigermaßen rechtzeitig am Bahnhof bin, bestelle ich ein Taxi. Im erwartbaren Gegensatz zum Zug will wenigstens ich pünktlich sein. Der Taxifahrer ergreift dynamisch meinen Koffer und schmeißt ihn in den Kofferraum. Ich öffne die Beifahrertür, schaue dem Taxifahrer erbost in die Augen, hechte erschrocken auf den Beifahrersitz und stelle das Autoradio aus. Nicht mit mir, so leicht kriegt ihr mich nicht!

Am Bahnhof angekommen, halte ich mir einfach schützend die Ohren zu. Im Gang vom Eingang bis zu den Gleisen befinden sich gefühlte zwanzig Bistros, Kaffeestände und Kioske, denen ich in Sachen Ohrwurmschutz nicht im Geringsten über den Weg traue. Ob ich Recht behalte, bleibt beim ersten Gang eine Vermutung. Die Ohren sind dicht. Nur muss ich den kompletten Parcours leider noch einmal absolvieren. Um die Ohren zuzuhalten, brauchte ich beide Hände. Ich muss noch mal los, um meinen Koffer zu holen. Die Infektionsgefahr steigt immens.

Dem Lauscher-Angriff entkommen – jetzt gibt’s was zu lesen

Im Zug selbst erwarte ich keine besonderen Probleme. Wie üblich haben die Mitreisenden die Gesichter auf ihre Smartphones gesenkt. Die Haltung der Humanoiden unserer Zeit. Wenn da nicht meine direkte Sitznachbarin wäre, eine redselige Dame deutlich gehobenen Alters mit einer traditionellen Zeitschrift aus Papier in der Hand. „Ach schauen Sie doch mal auf dieses Bild, junger Mann. Der George Michael wird einfach nicht älter.“

Tja, wenn die Dame wüsste, dass er bereits seit 2016 nicht mehr unter uns weilt und deshalb auch nicht mehr älter werden kann. Pflichtbewusst entreiße ich ihr die Zeitung und schmeiße sie in den Müll. Also nicht die Dame, sondern die Zeitung.

Am Zielbahnhof direkt im musikalischen Epizentrum

Nach mehreren ohrwurmriskanten Umsteigebahnhöfen und langer Fahrt habe ich es geschafft: Zielbahnhof erreicht. Ich steige aus der Bahn, während aus unzähligen Lautsprechern auf dem Bahnsteig „Last Christmas von Wham!“ plärrt. Mit einer derartigen Massenbeschallung habe ich nicht gerechnet. Schon bin ich ergriffen und schwinge locker in den Hüften.

Ein Ausfallschritt direkt beim Verlassen der Bahn. Die noch vor der Tür wartenden Fahrgäste sind mit hoher Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr alle am Christbaum habe. Peinlich berührte Passanten glotzen mich an, als wäre ich Fred Astaire und John Travolta in Personalunion. Eine pathetische Geste mit den Armen, als wollte ich der ganzen Welt mein gefühlsschwangeres Leid klagen. Und so tänzele ich locker über den Bahnsteig bis zum Ausgang und schüttele nebenbei diversen Reisenden die Hand und wünsche ein frohes Fest.

Akute Notsituation – schnell zum Arzt

Die ersten Symptome haben sich offensichtlich eingestellt. Ich bekomme Angst vor der Massenepidemie und renne mitsamt Koffer zum nächsten Neurologen. Die Familie muss warten. In der Sprechstunde von Dr. O. Hrwurm komme ich relativ schnell an die Reihe. Obschon ich nicht unmittelbar unter Quarantäne gestellt und von den restlichen Patienten im Wartezimmer isoliert werde, ist den Sprechstundenhilfen eines sofort klar: Es handelt sich um einen akuten Notfall! Ein Anflug von Panik macht sich breit.

Erstmal an den Glühwein-Tropf anschließen

Um Langzeitschäden zu vermeiden, werde ich erstmal an einen Tropf gelegt. Keine Ahnung, welche entspannenden Substanzen sich darin befinden. Ich tippe auf Zimt, Anis und eine Portion Glühwein. Entgegen meiner Hoffnungen zeigt die intravenöse Beigabe kaum die erhoffte Wirkung. Ganz im Gegenteil.

Während Dr. O. Hrwurm in die Kopfhörer Meditationsmusik einspielt, gröle ich umso lauter: „… but the very next day you gave it away.“

Der Arzt wird langsam misstrauisch, erkennt kritisch ansteigende Werte auf dem Monitor, mit dem meine Hirnaktivitäten überwacht werden. Sicherheitshalber bringt er schon mal den Defibrillator auf Betriebstemperatur und klatscht damit im Takt der Musik fröhlich in die Hände. Verbleibt ihm nur, mich mit der bitteren Wahrheit zu konfrontieren: Gegen diesen Ohrwurm ist keine Medizin gewachsen. Und die möglichen Maßnahmen, sich dagegen zu wehren, sind ebenso begrenzt wie radikal:

Fazit: Glücklicherweise gibt es kein Entkommen

Du kannst wochen- bis monatelang den Aufenthalt in Kaufhäusern und Supermärkten meiden, von Weihnachtsmärkten, Firmenfeiern oder Schulausflügen zum Weihnachtsmärchen ganz zu schweigen.  Eine gute Lösung kann es sein, dich in deiner Bude über sämtliche Adventswochen hinweg zu verkriechen und keinen Schritt vor die Tür zu setzen. Problematisch wird es allerdings, sobald ein Paketfahrer oder der Postbote vor der Tür steht und dir ein sentimentales „I’ll give it to someone special“ entgegenhaucht.

 

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Frohe Weihnachten!

Besser, du nutzt die einzige vorhandene Chance: Sträube dich nicht dagegen und hab‘ einfach eine gute Zeit. Vielleicht lernst du zwischendurch noch ein Instrument, hier kommen ein paar Entscheidungshilfen zur Instrumentenwahl. In diesem Sinne wünschen wir von der musikmachen.de-Redaktion beschaulich-besinnliche Tage und ein frohes Weihnachtsfest! Man sieht sich, man hört sich …

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