Musikereffekt Verzerrer – unsaubere Töne mit Absicht

Distortion, Overdrive, Bitcrusher & Co.

Verzerrte E-Gitarre kennt jeder, klar. Aber wie ist sie verzerrt? Am Eingang des Amps oder am Ausgang? Wo ist der Unterschied? Und was kann man noch alles verzerren? Und wie entsteht Verzerrung überhaupt? Wir schauen uns in diesem Artikel die Verschiedenen Verzerrer-Arten an.

Kasten Verzerrer Obertöne, digitale Verzerrung etc. kurz

Für den Verzerrer-Effekt gibt es ein paar grundsätzliche Dinge zu wissen. Denn Verzerrer ist nicht gleich Verzerrer und es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Signal „kaputtzukriegen“.

Verzerrung durch Obertöne

Fügen wir dem Signal Obertöne hinzu, die im ursprünglichen Signal nicht vorhanden sind, ist das bereits eine Verzerrung. Am einfachsten funktioniert das, wenn man einer Verstärkerstufe mehr Signal gibt, als sie eigentlich verträgt. Übertreibt man das an der Vorstufe, spricht man in der Musik von Distortion. „Überfährt“ man dagegen die Endstufe, nennt man den Verzerrer-Effekt Overdrive. Und handelt es sich nicht um einen Röhren- sondern um einen Transistor-Amp, so nennt man die Verzerrung Fuzz.

Eine kleine Auswahl verschiedener Verzerrer-Effektpedale des Autors | Foto: Nikolai Kaeßmann

In den 50er-Jahren machten Musiker genau das mit ihren Röhren-Amps und erschufen so die ersten Verzerrer-Effekte. Blöd nur, dass die Amps das auf Dauer nicht aushielten und sich reihenweise verabschiedeten. Also entwickelten die Hersteller die ersten Geräte, die diese Effekte ohne Zerstörung von Amps bewerkstelligten.

Verzerrung durch Übersteuern einer Aufnahme

In der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts kennt das kaum noch jemand, aber früher standen Geräte, die von ihren Besitzern oft zum Übersteuern genötigt wurden, in jedem Kinderzimmer: Kassettenrekorder und Tapedecks. Schließlich wollte jeder möglichst laut aufnehmen, um das analoge Rauschen entsprechend in den Hintergrund zu verdrängen. Und da rote Lämpchen, die anzeigen, ab wann das Signal 0 dB überschreitet, schließlich doof sind, wenn sie nicht wenigstens blinken, nahmen fast alle ihre Tapes so laut auf, dass die Technik zwangsläufig irgendwann überfordert war und nach der Bandsättigung, die ja noch gut klingt, die Aufnahme langsam zu zerren begann.

Verzerrer gibt es auch in digitaler Form in Hülle und Fülle, zum Beispiel in Native Instruments Guitar Rig | Screenshot: Nikolai Kaeßmann

Digitale Verzerrung durch Übersteuern

Inzwischen gibt es die 0-dB-Grenze, mehr geht in der digitalen Welt nicht. Zwar sorgt moderne Hard- und Software sorgt dafür, dass das Signal nicht schlagartig kaputtgeht, sondern zunächst mal langsam nur ein bisschen Verzerrung wahrzunehmen ist. Aber wenn man sich ein zu laut aufgenommenes Signal einmal in der Schwingungsformdarstellung anschaut, dann sieht man sofort, dass es einfach abgeschnitten wird. So auch auf dem folgenden Bild einer Gitarrenaufnahme, bei der der Gain-Regler viel zu weit aufgezogen war. Man kann noch erahnen, wie die Kurve hätte aussehen sollen, aber über 0 dB wird eben nichts aufgezeichnet, sondern alles abgeschnitten.

Gnadenlos abgeschnittenes Signal: Bei 0 ist Ende! | Screenshot: Nikolai Kaeßmann

Digitale Übersteuerung durch Reduzierung der Auflösung

Bis hierhin wurden dem Signal auf unterschiedliche Weise Obertöne hinzugefügt. Doch es Verzerrung geht auch anders, zumindest seit wir digital aufnehmen. Zur Erinnerung: Die Datenrate und die damit verbundene Aufnahmequalität werden in kHz in Verbindung mit einer Bit-Zahl angegeben. So beträgt die Datenrate einer CD 44,1 kHz bei 16 Bit. Das bedeutet, dass 44.100 Mal in der Sekunde ein Datenpaket von 16 Bit aufgenommen wird. Moderne DAWs arbeiten auch mit deutlich höheren Datenraten.

Und wenn man die nun runterschraubt, dann wird ein digitales Signal entsprechend ungenauer, bis es irgendwann so schlecht aufgelöst wird, dass eine Verzerrung entsteht. Der Verzerrer-Effekt für diese Methode nennt sich Bitcrusher. Doch der Name ist etwas ungenau, denn ein Bitcrusher kann nicht nur die Bit-Zahl reduzieren, sondern in der Regel auch noch die Abtastrate einer Aufnahme runterschrauben (auf dem Bild unten „Downsampling“ genannt). Und wenn man nun noch die Parameter bewegt, ist Ergebnis eine sehr abwechslungsreiche digitale Verzerrung.

Der Bitcrusher in Apple Logic Pro zeigt genau, was mit dem Signal passiert. Das war mal eine Sinuswelle! | Screenshot: Nikolai Kaeßmann

Ein paar der bekanntesten Verzerrer-Effektgeräte

Selbstverständlich kannst du eine Verzerrung auch ohne Effektgeräte einfach mit einem Amp machen. Aber das ist manchmal auch unpraktisch, wenn du am Rechner sitzt. Daher schauen wir uns hier mal ein paar auf die entsprechenden Sounds spezialisierte Effektgeräte an. Verzerrer-Pedale gibt es fast mehr als den berühmten Sand am Meer. Aber bevor wir dir empfehlen, dich für eine Woche beim Händler deines Vertrauens einzuquartieren, damit du wenigstens einen Bruchteil hören kannst, stellen wir dir hier eine kleine Auswahl vor, die auf alle Fälle funktioniert. Von diesen Pedalen wirst du nicht enttäuscht werden, sie liefern, was sie versprechen.

Distortion

Das kommt raus, wenn die Eingangsstufe zu viel Pegel bekommt. Ein aggressives Signal, das sich hervorragend für Powerchords und Metal-Soundwalls eignet.

Boss DS-1: ein echter Klassiker, rauh, aggressiv, für alle, die es härter mögen. Und ja, ein Boss-Pedal ist nahezu unzerstörbar.

Boss DS-1 Distortion
Boss DS-1 Distortion
Kundenbewertung:
(866)

MXR M116 Fullbore Metal: Wenn du auf der Suche nach dem typischen 70er-Distortion-Sound bist und viele Klangregelungsmöglichkeiten haben willst, bist du mit diesem Pedal mehr als auf der sicheren Seite. Metal und mehr!

MXR M116 Fullbore Metal
MXR M116 Fullbore Metal
Kundenbewertung:
(159)

Overdrive

Nun übersteuern wir die Endstufe. Es wird wärmer als beim Distortion und der Sound ist einer der beliebtesten, wenn es um E-Gitarren-Soli geht. Aber auch eine Roland TB-303 (und ihre Clones) freuen sich über eine ordentliche Portion Overdrive!

Ibanez TS 808: Das legendärste Overdrive-Pedal ist sicher der erste Ibanez Tubescreamer 808. Die selten gewordenen Original-Pedale aus den 70ern werden inzwischen gerne mal für Preise jenseits der 1600 Euro gehandelt. Ibanez bietet aber zum Glück eine hervorragend klingende Neufassung dieses Klassikers an. Ist zwar auch nicht ganz billig, aber eben das Original.

Ibanez TS808
Ibanez TS808
Kundenbewertung:
(269)

Boss SD-1: Dreht man die Buchstaben D und S, wird aus dem Distortion das passende Gegenstück, der Boss Super Overdrive. Der ist genauso eine Bank und liefert exakt das ab, was man erwartet: Overdrive, wie du ihn von vielen Songs kennst.

Boss SD-1 Overdrive
Boss SD-1 Overdrive
Kundenbewertung:
(834)

Fuzz

Dass Transistoren anders klingen, ist klar. Dass das aber keinesfalls schlecht bedeutet, beweist die Verzerrung eines Transistor-Amps, genannt Fuzz.

Dunlop JH F1: Das Fuzzface kann ja sooo schlecht gar nicht sein, wenn selbst Jimi Hendrix darauf schwörte. Ist es auch nicht, vielmehr ist es ebenso wie Jimi längst eine Legende. Wenn du einen wirklich authentischen Sound haben willst, ist das hier genau dein Pedal.

Dunlop JH F1
Dunlop JH F1
Kundenbewertung:
(47)

Electro Harmonix Ram’s Head Big Muff: Noch so ein legendärer Fuzz-Sound, den es in diesem Fall seit 1973 gibt. Das Pedal hier ist eine Bank, wenn es um Fuzz geht.

Electro Harmonix Ram's Head Big Muff Fuzz
Electro Harmonix Ram's Head Big Muff Fuzz
Kundenbewertung:
(142)

Bitcrusher

Ein Bitcrusher gehört heutzutage zur Grundaustattung jeder modernen DAW-Software. Es gibt aber ein paar Plug-ins, die sich trotzdem lohnen, da sie mehr können als die in deiner DAW mitgelieferten Effekte. Und glaube mal nicht, dass das Bitcrushing nur in Software funktioniert.

Sugar Bytes Turnado: ein Multieffekt-Plug-in, dessen vielfältige Modulationen sich genial miteinander kombinieren und wunderbar automatisieren lassen. Ein Bitcrusher gehört hier eben auch dazu.

Sugar Bytes Turnado Download
Sugar Bytes Turnado Download Bisher keine Kundenbewertung verfügbar

Red Panda Bitmap V2: Okay, das Pedal ist nicht gerade günstig, aber wenn du Bitcrushing mit vielen Parametern als Hardware haben willst, ist das sicher die Topliga. Günstiger geht’s auch hervorragend mit dem Electro Harmonix Mainframe Bit Crusher.

Red Panda Bitmap V2
Red Panda Bitmap V2
Kundenbewertung:
(3)

Welche Signale in der Musik verzerrt werden

Wie eingangs erwähnt, ist die E-Gitarre wahrscheinlich das bekannteste Beispiel. Freunde der elektronischen Clubmusik werden jetzt aber sicher sofort „Halt!“ schreien. Denn gerade in Musikrichtungen wie Techno, Hardcore und Co. gibt es viele weitere Beispiele.

Drums sind in allen Musikrichtungen gerne mal Ziel von Verzerrung. Eine verzerrte Bassdrum dampft richtig vorwärts, eine Snare bekommt mehr Biss und zerrende Crashs schneiden brutal durch jeden Mix.

Jede Form von Lead-Sound wird durch Verzerrung aggressiver und markanter, eben nicht nur die E-Gitarre. Im Acid gibt es die verzerrte TB-303, die einen völlig neuen Klangcharakter bekommt.

Auch auf Vocals kommt gelegentlich ein Verzerrer zum Einsatz. Ein beliebter Effekt ist beispielsweise, ein Vocal-Delay anschließend zu verzerren – auch gerne mal mit einem Bitcrusher – und so den Vocals einen elektronischen Unterton zu verpassen.

Und warum nicht mal klassische Instrumente verzerren? Es muss ja nicht direkt die volle Distortion-Breitseite sein, ein subtiler Overdrive, der erst in den Pegelspitzen einsetzt, könnte aber interessant sein. Okay, das macht man selbstverständlich nicht bei Orchesteraufnahmen, bei denen es um eine akkurate Abbildung des akustischen Klanggeschehens geht. Aber warum nicht mal ein Crossover-Experiment mit verzerrten Sounds in einem Popsong wagen?

Im Klartext: Wie immer gilt, es ist erlaubt, was gefällt, wir sind ja keine Regelhüter, sondern Musiker – und die setzen sich doch bitte immer über Regeln hinweg. Zumindest beim Musikmachen!

Klangbeispiele

Klar, nun wollen wir auch den Verzerrer-Effekt mal hören – und zwar in vielen Varianten.

Los geht’s mit einer Les Paul E-Gitarre. Zunächst mal unverzerrt, dann mit Distortion, gefolgt von Overdrive, Fuzz und schließlich einem Bitcrusher. Während die ersten drei Verzerrer während des Spiels unverändert blieben, verringert sich die Samplerate beim Bitcrusher kontinuierlich. Das ursprünglich mit 24 Bit aufgenommene Signal habe ich auf 8 Bit runtergedreht.

Mit dem zweiten Beispiel kann ich direkt mal erklären, wie man eine typische 909-Bassdrum auch digital vernünftig verzerrt. Das Problem ist nämlich, dass das ursprünglich komplett analog mit einem Mischpult gemacht wurde. Der Solo-Ausgang der 909-Bassdrum wird in einen Mixerkanal gestöpselt und dann wird das Gain-Poti so weit aufgerissen, bis die Eingangsstufe völlig überlastet anfängt zu sabbern. Das Schöne dabei ist, dass man mit dem Lautstärkeregler des Mixerkanals ganz bequem den Pegel anpassen kann. Die Verzerrung bleibt.

Anders ist das, wenn man das digital mit einem Plug-in in der DAW machen will. Dort gibt es zwar auch Helfernlein-Plug-ins, mit denen man den Gain so weit hochziehen kann, dass die Eingangsstufe übersteuert. Dummerweise verschwindet die Übersteuerung aber wieder, wenn man nun den Kanalfader runterzieht. Da hilft nur ein Distortion-Plug-in, denn wir wollen ja die Vorstufe übersteuern. Hierbei wird der Tone-Regler komplett aufgerissen, denn der Gain-Regler hebt ja alle Frequenzen gleichermaßen an.

Ebenfalls in diesem Klangbeispiel hörst du einen typischen 909-Loop mit Kick, Snare, Clap und Hi-Hat, der anschließend durch einen Bitcrusher läuft. Diesmal hat das 24-Bit-Ausgangssignal nur noch 11 Bit, die Samplingfrequenz startet bei 44,1 kHz und wird per Automation komplett runtergefahren.

Einer der berühmtesten elektronischen Klänge, den man auch mit Verzerrer kennt, ist der Sound der bereits angesprochenen Roland TB-303 und ihrer ganzen Klone. Und wenn es eben eine Demonstration von Verzerrer-Sounds sein soll, die nicht auf E-Gitarre beruht, ist das auch ein sehr schönes Beispiel, das ich euch hier gerne vorstelle. Außerdem könnt ihr hier hören, dass verschiedene Effektgeräte unterschiedlicher Hersteller auch gravierend anders klingen, selbst wenn sie alle auf die gleiche Bezeichnung hören. Nach dem unverzerrten Original-Sound folgen zwei verschiedene Distortion-Effekte, dann drei verschiedene Overdrive-Effekte und zum Schluss ein Blues-Driver, der auch in die Kategorie Overdrive fällt. Und jedes Mal klingt es völlig anders, obwohl der Ausgangssound jedes Mal der gleiche ist.

Fazit

Der Verzerrer-Effekt ist vielfältig einsetzbar, von ganz sanft bis extrem brachial. Und wie du in diesem Artikel gesehen und gehört hast, gibt es unzählige Verzerrer-Effekte, die alle ein bisschen anders klingen. Mit der passenden Einstellung und einem Lieblings-Effektgerät kannst du jederzeit deinen eigenen Signature-Sound kreieren, egal ob mit E-Gitarre oder jedem anderen Instrument.

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