Klavier stimmen – eine komplexe Angelegenheit

Das wohltemperierte Klavier

Foto: Shutterstock von Petrychenko Anton

Die Frage, ob du dein Klavier selber stimmen solltest, lässt sich relativ schnell beantworten: Nein! Das Klavier zu stimmen ist eine Aufgabe, die man grundsätzlich Fachleuten überlassen sollte. Unbesehen dessen lohnt es sich durchaus, ein paar Zusammenhänge zu verstehen. Tauchen wir ein in die große Kiste und schauen, weshalb man regelmäßig das Klavier stimmen lassen sollte.

Check it: Klavier stimmen und die komplexen Zusammenhänge

  • Gerade anfangs muss das neue Klavier gestimmt werden
  • Ältere Klaviere kämpfen mit dem Raumklima
  • Was der Klavierstimmer macht
  • Stimmen über Kammerton A und Quintenzirkel
  • Reine Stimmung versus temperierte Stimmung
  • Hilfreiche Klimaforschung aus dem Gurkenglas

Klavier stimmen bereits bei fabrikneuen Instrumenten

Der geneigte Pianist nimmt gerne mal an, ein fabrikneues Klavier müsse erst mal lange Zeit nicht gestimmt werden. Kann ja nicht sein, dass man so viel Geld ausgibt und es dann innerhalb kürzester Zeit krumm und schief klingt. Tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Die statische Konstruktion steht in unmittelbarem Gegenspiel mit der Gesamtzugkraft der Besaitung. Und die beiden natürlichen Kontrahenten arbeiten gerade in den ersten Jahren besonders stark. Das Resultat ist, dass auch und gerade ein neues Klavier etwa alle sechs Monate gestimmt werden sollte, vielleicht auch halbjährlich oder zweimal im Jahr.

Ältere Klaviere kämpfen mit dem wechselnden Raumklima

Bei Instrumenten, die bereits ein paar Jahre auf dem werten Buckel haben, sind die bauartbedingten Bedingungen zwar im Großen und Ganzen bereits nivelliert und ausgeglichen. Doch auch bei den gebrauchten Klavieren lässt sich ein Verstimmen kaum vermeiden; ältere Klaviere verstimmen sich insbesondere durch das wechselnde Raumklima, also die immer wieder unterschiedliche Luftfeuchtigkeit und die wechselnden Temperaturen.

Da kann man noch so schön aussehen, ungestimmt wird das nix. | Foto: Shutterstock von Alexander Y

Was der Klavierstimmer wieso und weshalb macht

Nun haben wir uns schon mal von dem Gedanken verabschiedet, das Klavier selber stimmen zu wollen. Doch verstehen würden wir schon gerne, was der Klavierstimmer wie und weshalb macht. Nun, halten wir uns zunächst vor Augen und Ohren, dass ein Klavier oder ein moderner Flügel üblicherweise zwar 88 Tasten, aber je nach Modell rund 230 Saiten hat. Das heißt nicht weniger, als dass erstens die meisten der Tasten für jeweils drei Saiten verantwortlich sind und zweitens es eben nicht nur um die Grundtöne, stattdessen auch um die stimmigen Obertöne geht.

Festgelegte Tonhöhe mit Referenzton Kammerton A

Ein Klavier wird üblicherweise auf den Kammerton A zwischen 440 und 443 Hz gestimmt. Während für den normalen Gebrauch 440 Hz üblich sind und ausreichen, werden Konzertflügel zumeist auf 443 Hz gestimmt, zumal die Flügel auch im klassischen Orchester verwendet werden und insbesondere die Streichinstrumente auf höherer Tonhöhe gestimmt werden. Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass manche Orchester es mit der Tonhöhe im wahrsten Sinne des Wortes auf die Spitze treiben; zum Leidwesen der Bläser, Sängerinnen und Sänger, die dabei an ihre physischen Grenzen gelangen.

Beim Klavier ist dieser Aspekt weniger ausschlaggebend, allerdings wird der Rahmen mitsamt der Saiten bei höheren Stimmung folgerichtig auch mehr beansprucht. Die Mechanik eines Klaviers besteht aus – Achtung, festhalten (!) – rund 6.000 Einzelteilen, die mit der Perfektion einen Schweizer Uhrwerks funktionieren müssen. Es gibt also reichlich zu tun.

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Stimmung festgelegt über den Kammerton

Dem Klavierstimmer stehen verschiedene Herangehensweisen zur Verfügung. So kann das Klavier nach Gehör oder komplett mit dem Stimmgerät in Stimmung gebracht werden. Weshalb juckt es nur gerade in den Fingern, die typischen Klischees zu bedienen? (Das Klavier ist verstimmt. Worüber nur?) Lassen wir das. Wird nach Gehör gearbeitet, nimmt man zunächst eine große Stimmgabel und vergleicht diese mit dem Ton „a“ über die verschiedenen Oktaven hinweg.

Dabei geht es um die Frequenz, also um die Häufigkeit der Schwingungen, die von unten nach oben immer wieder dupliziert werden. Bereits an dieser Stelle stellt sich die Problematik, dass immer drei Saiten zugleich angeschlagen werden, die in ihrer Gesamtheit klingend ein vernünftiges Hören unmöglich machen würden. Die Lösung ist es, dass immer zwei der drei Saiten mit Holzkeilen stummgeschaltet werden.

Eine eindeutig komplexe Konstruktion, die temperiert getuned werden muss. | Foto: Shutterstock von AlexanderLipko

Vom Basis-Ton zur Referenzoktave

Nachdem die Basis-Tonhöhe festgelegt wurde, geht es über den Quintenzirkel weiter; gestimmt wird dabei zunächst die Referenzoktave. Dafür kommen wiederum die speziellen Keile zum Einsatz, mit denen die gerade nicht relevanten Saiten abgedämpft werden. Besonders geachtet wird dabei auf die minimalen Schwingungen. Diese Schwingungen werden übrigens im musikalischen Sinne auch als Temperatur bezeichnet. Damit erklärt sich zugleich der vielzitierte Ausdruck „das wohltemperierte Klavier“. Gemeint ist damit nicht, dass das Instrument gut durchgegart und vernünftig heiß sein soll. Es geht schlichtweg um die tonalen Schwingungen und das Schwingungsverhältnis. Und das ist bei so vielen Saiten durchaus diffizil.

Reine Stimmung versus gleichmäßig temperierter Stimmung

Tatsächlich nämlich ist eine wirklich reine Stimmung nicht möglich. Würde man beim Schwingungsverhältnis nicht minimale Differenzen einkalkulieren und entsprechend das Klavier stimmen, ließe es sich lediglich in einer einzigen Tonart spielen. Alle anderen klängen krumm und schief. Und spätestens bei dieser Erkenntnis bewahrheitet sich, dass man ohne die entsprechende Fachkenntnis, das zwingend geschulte Gehör und das Werkzeug wie dem Stimmhammer kaum eigenständig das Klavier stimmen kann. Eine reine Stimmung ist beim Klavier grundverkehrt. Die Lösung des Rätsels liegt in der gleichmäßig temperierten Stimmung mit der Schwingungsreferenz der reinen Oktave.

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Stretched Tuning – die Obertöne werden zur Referenz

Realistisch betrachtet passen sauber gestimmte Grundtöne nicht zu den Obertönen. Okay, das könnte man auch andersherum ausdrücken: Die Obertöne passen nicht zu den Grundtönen, sie verlieren gewissermaßen den Kontakt zur Basis. Die Lösung liegt weiter entfernt, als man gemeinhin annehmen würde. Das Klavier ist nämlich ein Betrüger unserer Sinne. Gehen wir davon aus, dass eine reine Stimmung nicht möglich ist, wird bei der gleichmäßig temperierten Stimmung ein Trick angewandt:

Das menschliche Gehör nimmt bei Musikstücken und Klängen die Obertöne deutlicher wahr als die Grundtöne, insbesondere bei den Basstönen. Um eine hörbar harmonische Stimmung zu erreichen, wird deshalb die Basssaite leicht tiefer verstimmt, woraufhin die Obertöne korrekt eingestimmt werden können. Benannt wird das als Stimmspreizung.

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Werkzeug und technische Hilfsmittel

So ganz ohne Werkzeug funktioniert es nicht, wenn man das Klavier stimmen will. Benötigt wird dabei ein Stimmhammer, der eigentlich seinen Namen selbst mittlerweile überlebt hat. Früher wurden mit diesem Werkzeug Stimmnägel ins Holz geschlagen, was heutzutage so nicht mehr gemacht wird. Der Name ist geblieben, obschon es sich eigentlich und einen Stimmschlüssel handelt. Mit dem Stimmhammer wird die Spannung der Saiten erzeugt.

Pro Saite sind das übrigens rund 100 kg. Ein herkömmliches Stimmgerät könnte man nutzen; es bliebe allerdings bei dem „könnte“. Es funktioniert nicht. Es gibt nur die reinen Töne aus und die würden – wie oben bereits erläutert – nicht korrekt sein, stattdessen für eine Inharmonizität sorgen. Es gibt Apps, von denen der Klavierstimmer sich Unterstützung holen kann. Das Wichtigste aber bleibt das funktionierende Gehör.

Trotz Werkzeug – das wichtigste Hilfsmittel des Klavierstimmers ist das Gehör. | Foto: Shutterstock von Petrychenko Anton

Wie oft muss man das Klavier stimmen lassen

Die Faustregel besagt, dass man mindestens einmal besser zweimal jährlich den Klavierstimmer kommen lassen sollte. Sinnvollerweise zu Beginn und zum Ende jeder Heizperiode. Grund dafür ist, dass insbesondere die unterschiedlichen raumklimatischen Bedingungen dafür verantwortlich sind, dass erstens das Holz arbeitet und zweitens die Stimmung der Saiten sich verzieht. Das ist bei Naturinstrumenten ein vollkommen natürlicher Prozess, der sich kaum vermeiden lässt. Denn tatsächlich sind die Instrumente von den Jahreszeiten abhängig. In professionellen Gefilden wird sogar das Stimmen in dreimonatigen Abständen empfohlen. Tatsache ist, dass nur bei regelmäßiger Stimmung dauerhaft der optimalen Klangcharakter, die grundsätzliche Stimmbarkeit als auch die Stimmhaltung des Klaviers erhalten bleibt.

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Was tun, um das Klavier länger bei Stimmung zu halten

Das Klavier ist grundsätzlich ein Naturinstrument. Die Grundkonstruktion mit Korpus und Stimmstock besteht hauptsächlich aus Holz. Und das ist über die Stahlsaiten, die sich an den Metallwirbeln befinden, extremen Zugbelastungen ausgesetzt. Holz arbeitet unter raumklimatischen Bedingungen per se; erst recht, wenn es dabei auch noch unter Zug steht. Letztlich aber ist es nicht nur ein Tasten-, sondern auch ein Saiteninstrument. Und wie bei allen anderen Saiteninstrumenten auch, verziehen die Saiten sich im Laufe der Zeit. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Tatsache, dass man das Klavier zwar vor häufigen Verstimmungen schützen kann, allerdings nur mit erheblichem Aufwand, nämlich durch eine gleichmäßige Klimatisierung des Musikzimmers.

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Die Luftfeuchtigkeit sollte konstant zwischen 40 und 70 Prozent liegen. Was sich auf Anhieb geradezu kurios anhört, wird bei von Klavierbesitzern allerdings vielfach praktiziert. Da werden beispielsweise feuchte Tücher auf den Heizkörper oder Verdunstungsschalen irgendwo in den Raum gestellt, um die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, auch werden Grünpflanzen als in sämtliche Ecken gestellt, die den Raum befeuchten sollen. Auf der anderen Seite werden ständig die Fenster aufgerissen, falls die Luftfeuchtigkeit zu hoch ist. Messen lässt sich die Luftfeuchtigkeit mit einem Hygrometer.

Musikalische Klimaforschung mit dem Gurkenglas

Und damit ist das Ende der Fahnenstange in Sachen stimmiger Luftfeuchtigkeit noch längst nicht erreicht. Denn es geht dabei nicht nur um das Raumklima, stattdessen auch um das Innenklima des Klaviers. Über lange Zeit hinweg wurden simple, mit Wasser gefüllte Gurkengläser in den Innenraum des Klaviers gestellt. Allerdings hat man irgendwann realisiert, dass die Oberfläche der Gläser für einen ausreichenden Verdunstungsprozess nicht ausreicht.

Die Zeit der feuchtigkeitsspendenden Gurkengläser ist glücklicherweise vorbei. | Foto: Shutterstock von Evgeny Tomeev

Mittlerweile dürfen die Gurken wieder gegessen werden. Inzwischen gibt es spezielle Verdunster, bei denen es sich um Kunststoffrohre mit Schaumfüllung handelt, die die Schwankungen der Luftfeuchtigkeit im Inneren des Klaviers abfedern sollen. Ebenso werden seit Jahren spezielle Klimatisierungssysteme genutzt, die in den Flügel bzw. das Klavier eingebaut werden. Mit etwa 700 bis 800 Euro ist die Ausgabe zwar nicht zu unterschätzen, aber angesichts des Wertes des Instrumentes lohnt es sich durchaus, für ein solches System in die Tasche zu greifen. Logo, dass du das Klavier nicht direkt neben die Heizung oder den Grill stellst, oder?

Kostenaufwand abhängig vom Grad der Verstimmung

Die Kosten für das Klavierstimmen liegen bei ungefähr 80 – 100 Euro zzgl. Anfahrt, wobei man von einem Zeitaufwand von etwa ein bis zwei Stunden ausgehen muss. Klar ist aber auch, dass die meisten Klavierstimmer den Lohn nach dem zu erwartenden Aufwand berechnen. Die Rechnung ist simpel: Wenn du dein Klavier erst nach Jahren wieder stimmen lässt, wird’s teurer, zumal der Aufwand deutlich höher ist. Auch wirkt sich die Abweichung der Tonhöhe auf den zeitlichen Aufwand und somit den Preis aus.

Beträgt der Unterschied beispielsweise 6 Hz hat der Stimmer mehr zu tun, als wenn der Unterschied über das Klavier hinweg bei lediglich 2 Hz liegt. Allerdings sind die Kalkulationsgrundlagen der Klavierstimmer nicht einheitlich; mache kalkulieren schlichtweg mit Festpreisen. Das Interessante in diesem Zusammenhang: Die Aufwendungen lassen sich sogar steuerlich geltend machen, denn das Stimmen des Klaviers zählt zu den steuerlich begünstigten Handwerkerleistungen. Also die Rechnung und den Überweisungsbelegt gut aufbewahren.

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Auch interessant: „Basics und Fakten zu Konstruktion, Funktion und Aufbau des Klaviers“.

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