Sie musizieren besser mit links

Verein "Linksgespielt" vernetzt linkshändige Musiker weltweit

Christine Vogel und Sophia KlinkeChristine Vogel mit Gambe, Sophia Klinke mit Violine | Foto: Bettina Boyens

Gambistin Christine Vogel und Violinistin Sophia Klinke haben seit 2021 eine Menge bewegt in der klassischen Musik. Und sie musizieren mit links.

Schon Zeitgenossen fiel die große Fingerfertigkeit seiner linken Hand auf, besonders bei den Trillern: „Teufelsgeiger“ Paganini (1782-1840) gilt es vermuteter, aber unbewiesener Linkshänder, ebenso wie Mozart und eventuell auch Beethoven. Trotz all der edlen Namen fristete das Thema Linkshändigkeit in der normenstarken Klassik lange ein Dasein als Nischen- oder soll man sagen Tabuthema? Hielt sich doch hartnäckig das Gerücht, man müsse unbedingt Rechtshänder sein, um in der klassischen Musik, vor allem in Orchestern, beruflich erfolgreich zu sein.

Das Thema schien allerdings schon länger untergründig zu brodeln und der Leidensdruck hoch zu sein. Denn als zwei junge Musikerinnen, die im Laufe ihres Lebens die Gewissheit erhielten, dass die linke ihre starke Hand ist, obwohl sie ihre Instrumente rechtsspielend studierten, vor vier Jahren die Plattform und den Verein „Linksgespielt“ gründeten, traten sie damit eine regelrechte Lawine los.

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Heute erhalten die beiden Streicherinnen, die sich in einem Frankfurter Café vor der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst kennenlernten, Anfragen aus der ganzen Welt. Nicht nur mehr als 50 Interviews mit betroffenen Musikern und Musikerinnen lassen sich auf ihrer Homepage nachlesen, sie beantworten dort auch Fragen zum Umlernen, vernetzen die Menschen und räumen mit gängigen Vorurteilen auf. Zudem halten sie aufklärende Vorträge an Musikschulen oder klinken sich mit Forderungen bei Instrumentenbauern ein. Die Zeit scheint reif zu sein für ihr Ziel, „der Konvention den Spiegel vorzuhalten“, wie sie auf „linksgespielt“ schreiben.

Linksgespielt als Gruppe | Foto: Alexander Englert

„Ich bin eindeutig Linkshänderin und habe auch von Anfang an mit links geschrieben“, erzählt die 34-jährige Gambistin und Violonistin (nicht zu verwechseln mit einer Violinistin) Christine Vogel, die 2012 anfing, von der Rechten auf die Linke umzulernen. Doch erst jetzt, nach über zwölf Jahren „andersherum“ spielen, spürt sie den großen Unterschied. Die Händigkeit sei insgesamt schlecht erforscht, berichtet sie. „Man weiß nicht genau, wie sie in der Bevölkerung verteilt ist und wie sie entsteht, da gibt es ein großes Spektrum. Manche wissen von Anfang an, dass sie linkshändig sind, manche merken es erst später, andere wahrscheinlich nie.“ Man müsse im MRT aufwändig das Gehirn untersuchen, um die Händigkeit definitiv festzustellen und um aussagekräftige Zahlen zur Verteilung vorlegen zu können, hat sie recherchiert. „Die Studien und Umfragen, die zum Linkshänderanteil im Umlauf sind, bilden wahrscheinlich nur einen Teil der Wirklichkeit ab, weil wir aufgrund eigener Beobachtungen von einer großen Anzahl nicht erkannter Linkshänder ausgehen.“

Orchesterspiel mühelos mit links zu bewältigen

Die immer gleichen Einwände zum Thema Orchesterspiel sei der Hauptgrund gewesen, die Website 2021 zu gründen. Viele Menschen hätten zu ihnen gesagt, berichtet Vogel: „‚Schön und gut, was ihr da zusammengetragen habt – aber spätestens im Orchester geht das nicht.‘ Dabei haben wir so viele Beispiele, dass es eben doch geht.“ Dieses Vorurteil sei schwer aus den Köpfen zu verbannen. „Beim Cello braucht man nur ein paar Zentimeter mehr Platz. Hans-Ludwig Becker in Gent spielt seit über 30 Jahren im Opera Ballett Vlaanderen im Orchestergraben. Ebenso andere Profimusiker auf der ganzen Welt. Ich selbst habe mein Linksspielen jahrelang in diversen Orchestern gar nicht thematisiert und es ist niemandem aufgefallen.“ Vogel ist überzeugt: „Die Energie von Ab- und Aufstrich ist wichtiger als homogene Händigkeit.“

Christine Vogel mit Barockflöte | Foto: Bettina Boyens

Schon vor Jahren hat der 2016 verstorbene Cellist und Musikpädagoge Walter Mengler, ein Pionier der „Linkshändigkeit“, die Sache auf den Punkt gebracht: „An die leicht veränderte Optik gewöhnt sich ein Zuschauer schnell, genauso wie der Genuss einer Strauss’schen Partitur nicht dadurch getrübt wird, dass die Geigen häufig sechsfach geteilt sind und mehrfach gegeneinander streichen. Auch Mahlers Adagietto aus der 5. Sinfonie verliert nichts von seiner Emotion, weil die Cellisten an jedem Pult zwei verschiedene Stimmen spielen und dadurch fast permanent gegeneinander streichen“, zitiert ihn die Plattform „Linksgespielt.“

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Violinistin Sophia Klinke, zweite Vorsitzende des Vereins, bringt eine ganz andere Geschichte mit. Ihr war ihre Linkshändigkeit lange nicht bewusst: „Ich habe die ersten 24 Jahre meines Lebens angenommen, Rechtshänderin zu seien, bis ich 2018 einen Artikel über ‚verkappte‘ Linkshändigkeit las, in dem ich mich wiedererkannte.“ Daraufhin ging sie zu einem spezialisierten Arzt, der sie testete und ihre Linkshändigkeit bestätigte. Obwohl sie gerne früher Bescheid gewusst hätte, kann sie dem Ganzen doch jede Menge Positives abzugewinnen. „Ich versuche, das Gute an meinem Weg zu sehen, und dass wir mit ‚Linksgespielt‘ eine große Vernetzungsplattform ins Leben gerufen haben, die über Kontinente reicht. Hätte ich ganz selbstverständlich von Anfang an linksherum musiziert, wäre mir wahrscheinlich nicht bewusst gewesen, welche Wichtigkeit dieses Thema hat.“

Dabei hat sie bereits 2014 einen der wenigen klassischen Violinisten, der öffentlich linkshändig spielt, kennengelernt: den norwegischen Musikpädagogen und Professor in Oslo, Terje Moe Hansen. „Moe Hansen selbst hat erst sehr spät mit dem Geigenspiel begonnen, mit 18 oder 19 Jahren. Das allein ist schon eine Sensation, in solch einem Alter erst zu beginnen und dann Profi zu werden. Er sagte einmal, er wäre nie so weit gekommen, hätte er entgegen seiner Linkshändigkeit spielen müssen.“ Sie resümiert: „Obwohl ich rechtsherum ein hohes Niveau erreichte, im MDR-Sinfonieorchester spielte und mein Studium erfolgreich abschloss, stellte sich dennoch kein so richtig gutes Körpergefühl ein, während ich beim linksherum Musizieren das Gefühl habe, besser mit meinem Körper verbunden zu sein und ganzheitlicher zu spielen, präsenter zu sein.“

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Blas- und Tasteninstrumente können leichter umstellen

Beide Musikerinnen bestätigen, dass es besonders für die Spieler von Streichinstrumenten schwierig sei, umzulernen, da die Fertigkeiten der Hände über die langen Jahre des Übens komplett unterschiedlich seien. Bei Blas- und Tasteninstrumenten gehe das wesentlich schneller. Dabei gäbe es gerade, was die Streichinstrumente betrifft, viele Vorurteile, berichtet Vogel: „Viele sagen zu mir, die Schwierigkeiten nicht erkennen können. Es sei doch im Gegenteil für Linkshänder bei einem Streichinstrument einfacher die komplexen Griffe mit links zu greifen. Und den Bogen müsse man doch nur ‚hin und her‘ bewegen. Dabei geht es gar nicht unbedingt darum, was motorisch schwieriger ist. Es wird deswegen so wenig zur Linkshändigkeit geforscht, weil die Linkshänder sich ja immer anpassen. Das suggeriert: ‚Es geht ja, es gibt doch kein Problem.‘ Diejenigen, die sich nicht so gut anpassen können, werden halt keine Profis.“

Klinke hat beobachtet, dass auch heute noch viele Musikschullehrer Eltern junger Kinder zur rechtshändigen Anpassung im Orchester raten. „Das ist kein böser Wille, sondern schlicht und ergreifend Unwissenheit.“ Und man dürfe nicht darauf hoffen, dass jemand, der frisch vom Studium komme und musikpädagogisch geschult sei, dort auch über das Thema Linkshändigkeit im Instrumentalspiel aufgeklärt wurde. „Dafür sind noch zu wenige von uns sichtbar.“ Daher haben sie schon das nächste Projekt im Blick: „In Zukunft auch an Methodiklehrer von Hochschulen heranzutreten, die ihren Studenten hoffentlich künftig die Wichtigkeit der angeborenen, nicht veränderbaren Händigkeit am Instrument nahebringen.“

Christine Vogel mit Tastentransponder | Foto: Bettina Boyens

Zum spontanen Treffen haben beide ihre Linkshänder-Instrumente mitgebracht. Christine Vogel ihre frühbarocke Blockflöte, in die sie vom Instrumentenbauer ein zusätzliches Loch auf der linken, unteren Seite hat bohren lassen. Die rechte Seite wird einfach verkorkt. „Die Idee mit dem Korken stammt von ihm. Historisch wurde das nicht verwendete Loch mit Wachs verstopft. Holzblasinstrumente sind bis ins 17.Jahrhundert – und teilweise noch länger – so gebaut gewesen, dass man sie beidhändig spielen konnte“, hat die engagierte Violonistin herausgefunden. Stolz zeigt sie auch ihre neue Bassgambe, die sie am 1. Januar bei ihrem Erbauer Valentin Oelmüller in Potsdam abgeholt hat. Vorher habe sie auf umbesaiteten Rechtshänder-Instrumenten gespielt. Das kunstvoll verzierte, englische Modell stammt aus dem Jahr 1624 und besitzt unumsponnene Darmsaiten. Sophia Klinke hat eine Rechtshändergeige mitgebracht, die auf links umgebaut worden ist. Sie besitzt aber auch eine originale Linkshändergeige aus dem Jahr 1900. Anscheinend ist das Thema schon vor 125 Jahren aktuell gewesen. Und einen Keyboard-Mirror legen sie auf den Tisch, der digitale Tasteninstrumente spiegeln kann. Vogel erklärt: „Dazu braucht man MIDI-Buchsen und man muss die ‚local control‘ ausschalten.“ Danach wird nur noch ein Schalter umlegt. „Dieser Keyboard Mirror stammt von einem Schüler in Baden-Württemberg, der ihn in seinem 3D-Drucker selbst hergestellt, Kostenpunkt ca. 90 Euro. Es gibt auch eine kostenlose digitale Version, die auf unserer Seite verlinkt ist“, erzählt sie.

Ist man am Klavier Beidhänder?

Die erste Anlaufstelle für Pianisten ist die Leipziger Firma Blüthner, bei der sich der Pianist Géza Losó bereits 2001 einen Linkshänderflügel bauen ließ. Die Linkshänderklaviere sind allerdings teurer als Rechtshänderklaviere. Davon berichtet auch Diplom-Musiklehrerin Juliane Linder, die im Hauptfach Klavier ihren Abschluss gemacht hat und seit 2013 ebenfalls in Frankfurt lebt. Die geborene Berlinerin unterrichtet als Selbstständige in Frankfurt und lehrt an der Musikschule Oberursel. Die heute 43-Jährige hat im Alter von fünf Jahren mit dem Klavierspiel begonnen: „Früher dachte ich: Am Klavier ist man Beidhänder. Beide Hände bekommen die gleichen Aufgaben gestellt. Immerhin ist es so, dass die Linke, wenn man komplexe Literatur spielt, auch sehr virtuos eingesetzt wird.

Als „Linksgespielt“ vor drei Jahren an der Musikschule Oberursel über das Thema aufklärte, hat sie sofort begonnen, auf dem E-Piano die Hände umzustellen. Für sie sei es auch wichtig gewesen, das Pedal auf die linke Seite umzustellen, „weil der Fuß den musikalischen Ausdruck mitbestimmt“, so Linder. Sofort erschloss sich ihr eine völlig neue Art des Musizierens: „Anfangs habe ich nur Melodien gespielt oder eben die Hände einzeln, aber ich habe gleich gemerkt, dass es viel einfacher für mich so ist, Musik zu machen. Es klang spontan inhaltlich schlüssig.“ Sie habe viel weniger Denkarbeit leisten müssen. „Ich muss mir nicht erst vorstellen, wie es klingen sollte, sondern die Musik fließt mir automatisch aus den Fingern. Erst jetzt fühle ich mich ganz als Musikerin.“ Drei Jahre später kann sie ihr Klavierspiel nur linksherum richtig genießen. „Der musikalische Ausdruck gelingt mühelos. Die Balance der Hände zueinander entspricht meiner Natur. Meine Finger machen, was sie wollen und nicht was sie sollen.“

Juliane Linder | Foto: Bettina Boyens

Zurück zur Violinistin Sophia Klinke. Seit Anfang des Jahres nimmt sie wöchentlichen Gitarrenunterricht, der ihr große Freude bereitet, weil sie direkt linksherum lernt. „Wenn ich mir vorstelle, die Gitarre rechtsherum spielen zu müssen – also rechts zupfen und links greifen – spüre ich sofort, wie der Atem angespannter und der Zugang zum Körpergefühl geringer wird.“ Was für ein Genuss, endlich richtig herum zu lernen – vom ersten Ton an.

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