Fassungslos blickt der Violinist dem Zug, der S-Bahn oder dem Bus hinterher. Da war doch was? Ja, durchaus. Die Türen sind längst dicht. Beim Aussteigen hat er allerdings seine Geige vergessen. Das wertvolle Instrument befindet sich jetzt auf einer Reise und keiner weiß, ob man sich jemals wiedersehen wird. Shit happens. Aber weshalb so oft? Steckt System dahinter?
Ist ein Muster erkennbar?
- Wie gerne würde man dem Rest der Welt die Schuld geben
- Leider schusselig und gedankenlos die Violine vergessen
- Kein Einzelfall, stattdessen mit gewohnter Regelmäßigkeit
- Wenn die Werte einfach davonrollen
- Das Schweben in musikalischen Welten
Nicht alles, was verschwindet, ist gestohlen
Dass Menschen in der Disco, bei Konzerten oder in Wartebereichen immer mal wieder wertvolle Dinge verlieren oder bestohlen werden, kommt häufig vor. Der Verlust ist schmerzlich und kostspielig. Sei es das Portemonnaie, die Handtasche oder das Smartphone. Schuld daran sollen dann meistens kriminelle Taschendiebe oder Betrüger sein.
Pure Schusseligkeit und das sogar regelmäßig
Zu einer ganz anderen Sichtweise kommen wir, wenn wir uns die geradezu regelmäßigen Meldungen dazu anschauen, wie viele Musiker ihre Instrumente ganz einfach in öffentlichen Verkehrsmitteln vergessen. Ziemlich oft handelt es sich um Violinen. Und natürlich hat das nichts mehr mit Diebstahl zu tun. Vielmehr ist das schlichtweg Schusseligkeit. Die Frage drängt sich auf: Liebe Geiger, in welcher Welt schwebt ihr?
Jährliche Meldungen von ausgesetzten Violinen
Dabei ist sogar ein ziemlich deutliches Muster erkennbar. Meistens werden die Violinen im Zug, der S-Bahn oder dem Bus vergessen. Zunächst glaubt man, die Sensationsredaktionen hätten im üblichen Sommerloch nichts zu schreiben. Also lassen sie schnell mal wieder eine investigative Violine verschwinden. Weit gefehlt, die Realität holt uns nahezu im Jahrestakt ein. Schauen wir uns ein paar Beispiele an:
Violinen-Vergesslichkeit von München bis in die USA
2010 vergisst ein Geiger in der Münchner S-Bahn eine Geige im Wert von rund einer Million Euro. Er hat sein Schätzchen schnell wieder zurückbekommen, musste sich wegen des Schocks aber in psychologische Behandlung begeben.
Ein Jahr später meldet sich eine taiwanesische Violinistin von der anderen Seite des großen Teiches. In den USA hat sie ihre Geige einfach mal im Bus vergessen. Das Instrument war weitaus günstiger, gerademal gute 130.000 Euro.
Höchstpersönliche Dank an den Finder per SMS
Im Jahr darauf kommt der Klopper aus der Schweiz. Der berühmte Thuner Geiger Alexandre Dubach vergisst seine Stradivari in der Berner S-Bahn. Geschätzter Wert: bis zu 5,5 Millionen Euro. Dank eines ehrlichen Finders hat er sein Instrument wieder. Bedankt hat Dubach sich übrigens per SMS.
Und so geht es weiter durch die jüngste Vergangenheit. 2016 lässt die Ehefrau eines Konzertmeisters in der Münchner S-Bahn eine Geige im Wert von 100.000 Euro liegen. Ob die Ehe noch intakt ist, bewegt sich im Reich der Vermutung.
Pure Panik: Sündhaft teure antike Geige vergessen
2019 ergreift den britischen Profimusiker Stephen Morris die pure Panik. Er stellt fest, dass er ohne seine antike Violine aus dem Londoner Vorortzug ausgestiegen ist. Das Instrument stammt aus der legendären Manufaktur von David Teccler und ist sagenhafte 310 Jahre alt. Vermutlich fühlt der 51-jährige Stephen sich ungefähr genauso alt, als die Tür beim Aussteigen hinter ihm schließt und der Zug mit dem schlappe 290.000 Euro teuren Instrument davonrollt.
Schnellstens startet der Violinist einen öffentlichen Aufruf, informiert die Londoner Verkehrsbetriebe und die Polizei. Mit einem Foto einer Überwachungskamera wird nach einem ca. 25 bis 30 Jahre altem Mann gesucht, der den Geigenkoffer inklusive der megateuren Violine und zwei historischen Bögen an sich genommen hat.
Kurz darauf erhält er eine Nachricht über Twitter. Es folgen geheime Verhandlungen, anschließend die subversive Übergabe der Violine auf einem Londoner Parkplatz. Nach einer Woche ist die Geige wieder zu Hause und Stephen Morris um eine Schreckenserfahrung reicher. Eine Anzeige gab es nicht.
Typisch deutsche Ordnung: Anzeige wegen Fundsachenunterschlagung
Durchaus eine Anzeige gab es wegen einer Geige, die gerademal ca. 10.000 Euro auf die Waagschale bringt. Eine Dame vergaß die Violine im noch jungen Jahr 2020 in einem Regionalzug von Koblenz nach Neuwied-Engers. In der Pressemeldung der zuständigen Polizei ist zu lesen, dass die Anzeige auf „Fundsachenunterschlagung“ lautet.
Stellt dir vor, du hast dein Haus im Bus vergessen
Also mal ehrlich, liebe Leute. Normal ist das nicht, oder? Da bleiben hochwertigste Instrumente einfach liegen und fühlen sich vollkommen verlassen, gewissermaßen ausgesetzt. Dabei haben sie teilweise einen Wert, der einem handelsüblichen Reihenhaus oder einer Villa entspricht. Diese Violinen sind in vielen Fällen die Lebensgrundlage ihrer Besitzer, außerdem ein echtes Stück Geschichte.
Gedanklich mit beiden Beinen fest in der Luft
Verbleibt nur, konsequent an das Gute im Geiger zu glauben. Es ist einfach nicht vorstellbar, dass ein Mensch so oberflächlich ist und ihm derartige Werte gleichgültig sind. Also muss es wohl daran liegen, dass Violinisten mit und ohne Instrument in ihrer Musik schwelgen und förmlich auf gedanklichen Wolken tanzen. Mittendrin im Alltag und gleichzeitig mit beiden Beinen fest in der Luft.
Schön wach bleiben oder das Instrument anleinen
Wir wünschen allen Musikern ein paar hellwache Augenblicke. Ansonsten heißt es eben auch für die Violine: Mit Bahn und Bus und dann zu Fuß. Nur weiß spätestens nach dem Schließen der Türen kein Mensch mehr, wohin die Reise führt. Wir Musiker haben vermutlich alle schon erlebt, dass jemand vergessen hatte, sein Instrument mit zum Auftritt zu nehmen. Aber solche Gedankenfreiheit schlägt dem Fass dann doch dezent den Boden aus.
Wie geht’s euch? Ist euch auch schon ähnliches passiert?
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Wenn auch du dich für die Violine interessierst und bestimmt besser auf dein Instrument achten wirst, gibt es in diesem Artikel 10 gute Gründe, Geige zu lernen.