5G-Chip längst verbaut: Langsam wird’s kalt unterm Alu-Hut

Technische Stolpersteine an der Mythenfront

| Foto: Shutterstock von Vitamin444

Seit einigen Tagen kursiert in den sozialen Medien ein Diagramm des „Covid-19 5G-Chips“. Untermauert wird mit diesem Leak die Existenz des kontrollsüchtigen 5G-Chips, der Menschen über die Corona-Impfung injiziert und implantiert werden und sie zu willenlos fremdgesteuerten Wesen machen soll. Nur gibt’s dabei ein winziges Problem: Bei der als 5G-Diagramm betitelten Grafik handelt es sich schlichtweg um den Schaltplan des beliebten Gitarren-Effektpedals Boss Metal Zone MT-2. Also mal wieder verantwortungsloser Schwurbel-Bullshit:

5G-Chip entpuppt sich als Gitarreneffekt – Quelle Twitter | Grafik: Twitter Account von mariofusco

Der Beweis: 5G-Schaltplan geleakt und für Corona-tauglich erklärt

Na klar, das Ende naht. Wir werden künftig alle von Eliten, autokratischen Politikern, Aliens und hypergalaktischen Mächten kontrolliert. Keine Frage, dass Bill Gates und das Männchen mit der orangefarbenen Eichhörnchen-Frisur, das sich gerade mit dem infantilen Aufstampfen eines Dreijährigen aus dem Weißen Haus verabschiedet hat, eine bedeutende Rolle beim vorsätzlichen Weltuntergang innehaben. Gates eine vermeintlich schlechte, das Trump-Hörnchen eine angeblich führend gute.

Ach ja, und dann sind da ja auch noch der allwissend Gewendelte und der selbsterhöhte vegane Koch, dessen Name uns vorsätzlich gerade nicht einfallen will. Nachdem die Verschwörungstheoretiker bislang den Beweis schuldig bleiben mussten, dass die Erde eine von Reptiloiden bewohnte Scheibe ist, scheinen sie jetzt mit dem 5G-Schaltplan den Stein der Weisen enthüllt zu haben:

Solche technischen Fakten können doch nicht lügen

Rasant grassiert die aus Italien stammende Meldung, dass es den 5G-Chip bereits gibt. Die dafür benutzte Grafik lässt bei hilfsbedürftig Unkundigen keinerlei Zweifel offen. Immerhin zeigt die Grafik deutlich, was da hinter unserem Rücken getrieben wird. Wenn das keine belegbaren Fakten sein sollen, was dann? Elektrotechniker und elektronikinteressierte Musiker hingegen haben längst vor Lachen hyperventiliert. Gemunkelt wird, manche hätten sich schon komatös gelacht. Okay, keine neuen Halbwahrheiten streuen.

Tatsache ist, bei der im Internet kursierenden Grafik handelt es sich schlichtweg um einen Schaltplan. Und zwar um den eines Effektpedals für E-Gitarre; genauer gesagt, um den Schaltplan für das Bodenpedal MT-2 von Boss, ein Distortion-Effekt, der – speziell für Hardrock- und Heavy Metal konzipiert – ein absoluter Verkaufsschlager des Effektspezialisten ist. Ach ja, und die verbreitete Grafik des Schaltplans stammt aus dem Jahr 2009.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Bisschen groß für einen 5G-Chip, oder?

Auch Fake-News wollen kompromissbereit gecheckt werden

Aber selbstverständlich wollen wir solche Fake-News nicht einfach oberflächlich vom Tisch wischen. Man muss doch im Dialog bleiben, bevor man sich in fernen Galaxien und Parallelwelten nicht mehr wiederfindet. Stellen wir uns also kompromissbereit vor, die Story besäße auch nur einen Funken von Wahrheit. Dann hätten wir also mit der nächsten Impfung nicht nur die 5G-Überwachung der querdimensionalen Untergangsprognostiker im Körper, sondern auch den brachialen Heavy-Metal-Sound. Metal und Co. per Impfung. Auch nicht schlecht.

Wenn Egomanen durch Schüren von Ängsten verdienen wollen

Fakt bleibt, es ist einfach unfassbar, mit welchem Nonsens die Schiefliegenden und Querfliegenden ihr Geschäftsmodell befrachten. Denn das ist die perfide Verbreitung von Unwahrheiten für viele Verschwörungstheoretiker längst, ein Geschäftsmodell. Und zwar ein äußerst lukratives. Dabei stellen diese egomanen Zeitgenossen die hinlänglich bekannten Ansätze unproduktiver Geschäftspraktiken einfach auf den Kopf.

Alarmzustand in musikalischen Werkstätten

Angesichts der neuen Erkenntnisse sind Musiker und Techniker gleichermaßen verunsichert. Was für Potenziale und Risiken schlummern in der mythischen Kiste? Müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, wenn das Gerät doch mal den Weg in die Werkstatt findet? Darf das MT-2 nur mit angelegter Schutzkleidung inklusive FFP-2-Maske und bei geöffnetem Fenster instandgesetzt werden? Springt der 5G-Chip dem chirurgischen Werkstatt-Mitarbeiter direkt ins Gesicht oder wird es erst bei eingestecktem Klinkenkabel aktiviert? Fragen über Fragen, man weiß es nicht.

Umkreist bald brachialer 5G-Metal die Welt?

Nach Antworten wird auch für die unmittelbare Praxis gesucht. Wie hoch ist der Inzidenzwert eines Distortion-Pedals und inwieweit lassen sich seine Frequenzen nachverfolgen? Zumindest ist ein Funken Hoffnung vorhanden, dass der Verstärker es überlebt, wenn die gefährlichen 5G-Wellen hineingeschickt werden. Zur Frage, ob er ab dem Zeitpunkt brachiale 5G-geschwängerte Metal-Musik um die Welt schickt, existieren bislang keine belastbaren Studien. Oh man Leute, wirklich euer Ernst?

Den pilgernden Jüngern einfach in die Tasche gegriffen

Vor etwa einem halben Jahrhundert versprachen Bhagwans ihren Jüngern vollkommene Glückseligkeit. Und saugten ihnen anschließend das letzte Geld aus der Tasche. Etwa eine Dekade später priesen dubiose Ausflugsveranstalter, besser bekannt als Eierverkäufer, bei Kaffeefahrten heilbringende Heizdecken und weitere Kuriositäten zu überhöhten Preisen an und nutzten die Gutgläubigkeit der Ausflugsgäste aus. Nicht schön, aber alle versprachen zumindest etwas Gutes. Es gibt diverse weitere Beispiele, die aus Hoffnung bare  Münze machen.

Weltuntergangsszenarien als lukratives Geschäftsmodell

Nicht so die Verschwörungstheoretiker. Innovativ pervertiert setzen sie auf Angst. Je dramatischer die ersponnenen Szenarien, umso besser. Dafür verbreiten sie Thesen und angebliche Fakten, die abstruser nicht sein könnten. Weltuntergangsszenarien werden orchestriert, die Existenz von Viren wird geleugnet. Und weil diese selbsternannten Heils- und Erkenntnisbringer irgendwie leben müssen, sollen die Gleichgläubigen spenden.

Natürlich nicht als Spende deklariert, erst recht nicht als Vereinsbeitrag, stattdessen als Schenkung; rein privat. Resultat ist, dass die Empfänger nicht zur Transparenz von Ein- und Ausgaben verpflichtet sind, auch das Finanzamt – so glauben sie zumindest – keinen Zugriff hat. Und so orakeln sie sich auf Kosten von Menschenleben und der weiterhin zusammenbrechenden Wirtschaft eine güldene Nase.

Die Schenkenden haben anschließend kein Geld mehr für die nächste Wasser-, Strom- und Heizkostenrechnung, rennen auf die nächste Anti-Corona-Demo und holen sich mit Ansage eine kostenlose Dusche vom polizeilichen Wasserwerfer ab. Zynisch, dass sie ihre Kinder auch gleich mitduschen lassen. Und für uns einfach unfassbar, dass sie nun auch noch die Musik- und Equipment-Szene vor ihren Karren spannen.

Product-Placement, auf das der Hersteller gern verzichtet hätte

Die Idee der Zeitgenossen ist nicht neu. Nur eben auf irrwitzige Weise menschenverachtend. Tatsächlich ist es ein grauenhaftes Geschäft mit der Angst. Dass nun der Schaltplan eines Gitarreneffekt-Pedals vollkommen unverschuldet zu den Mythen beiträgt, ist interessant und nur zweifelhaft löblich. Die Event- und Kulturbranche wissen, dass durch solche Desinformationen die Pandemie-Maßnahmen nur weiter in die Länge gezogen werden und die Verzögerung weitere Menschenleben kosten wird. Der Hersteller ist schuldlos und hätte dieses unerbetene Product-Placement nicht nötig. In Gitarristen-Kreisen ist das Boss-Pedal bestens bekannt.

+++

Der Eventbranche helfen solche Schwurbeleien definitiv nicht. Vielmehr sind längst auch große Bands am Rande der Existenz angekommen. Auch interessant: „Legendäre Bands beantragen staatliche Finanzhilfen in Corona-Zeiten“.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Das könnte Dich auch interessieren: