Wie aus einer Idee eine CD wurde

OPERcussion spielt Latin-Jazz in der Staatsoper München

Oben: Pieter Roijen, Tomás Toral, Claudio Estay, Ferran Conangla, unten: Florian Wegmann, Georg Schreiter, Maxime Pidoux und Carlos Vera-Larrucea | Foto: Claudio Estay

Was macht eine Staatsoper, wenn statt eines Orchesters schlagartig nur noch acht Personen auf der Bühne stehen dürfen? Sie improvisiert! Über das, was dabei herausgekommen ist und wie der Weg von ein paar Latin-Jazz-Arrangements zu einer kompletten CD verlief, berichtet hier Claudio Estay, einer der Musiker von OPERcussion.

Über OPERcussion

OPERcussion sind die Schlagzeuger der Bayrischen Staatsoper in München. Die Musiker stammen aus Deutschland, Holland, Chile und Frankreich und lassen ihre musikalischen Wurzeln in ihre Arbeit einfließen. Durch alle Musikgenres und über alle Grenzen hinweg spielen sie ihre Rhythmen und begeistern damit ihr Publikum.

Angefangen hat alles am ersten Tag des Lockdowns. An diesem Tag, an dem ein Konzert mit Gustav Mahlers erster Symphonie geplant war, musste das Programm schnell geändert werden, Ensembles mit mehr als 8 Personen konnten nicht auf der Bühne spielen. Kammerensembles von Opernmitgliedern wurden gesucht und OPERcussion wurde aufgerufen, an diesem Tag an einem Online-Konzert teilzunehmen.

Mit OPERcussion haben wir schon lange Kammermusik gemacht, zwischen zeitgenössischer Musik für Schlagzeug mit eigens für das Ensemble geschriebenen Werken von Komponisten wie Nicolas Martynciow oder Oriol Cruixent und verschiedenen Bearbeitungen von nicht originaler Schlagzeugmusik von Debussy, Mozart oder Gustav Mahler. Aber an diesem Tag spielten wir ein paar Latin-Jazz-Arrangements.

Wie OPERcussion zum Latin-Jazz kam

Carlos Vera Larrucea und ich waren Mitglieder von Peter Sadlos Quintett, seinem letzten Projekt. Ein Quintett, in dem es Peter gelang, einen schon langen mitgebrachten Traum zu verwirklichen: die Musik von Johann Sebastian Bach mit Latin-Jazz zu mischen. Viele dieser Arrangements, die der großartige Pete Lawrence speziell für das Quintett geschrieben hat, haben wir in den Proben korrigiert und verändert und verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. Carlos hat viel aus harmonischer Sicht beigetragen und ich habe einige Ideen zur Einbindung lateinamerikanischer Rhythmen gegeben.

Peter Sadlo war kein Mensch, der gerne aufnahm, wir konnten aufgrund seines frühen Todes keine Tonaufzeichnung dieses wunderbaren Projekts hinterlassen. Also beschlossen wir zusammen mit dem OPERcussion-Ensemble, die alten Bearbeitungen von Peters Ensemble zu spielen, von denen viele ein langes Korrekturwerk von Peter, Carlos oder mir waren. Und so haben wir mit OPERcussion ein Latin-Jazz-Programm gemacht.

OPERcussion, die Schlagzeuger der Bayerischen Staatsoper | Foto: Claudio Estay

Ein Projekt will mehr – ein ganzes Programm!

Der Erfolg stellte sich sofort ein. Die Gruppe wurde als Latin-Jazz-Quintett gegründet und wir beschlossen, das Repertoire zu erweitern. Bald kamen einige Arrangements von Carlos Vera und einige Eigenkompositionen von Oriol Cruixent hinzu. Wir haben einige Shows online gespielt und bei jeder Gelegenheit die neuen Stücke ausprobiert.

Aber wir wussten, dass alles nur ein Miniprojekt werden würde, wenn wir kein Album hätten, wenn wir kein Konzept hätten. Also, nach vielen Stunden des Gesprächs, in dem wir viele Ideen in unseren Köpfen filterten, verwarfen oder entwickelten und in denen wir unsere Herzen fliegen ließen, hatten wir endlich ein Programm. Jetzt mussten wir konkret werden, wir wollten eine CD aufnehmen. Wir hatten das Programm ein paar Mal im Konzert fertig gespielt und wussten, dass es funktionieren würde.

Es fehlen die Marimbas

Durch die Oper hatten wir die meisten Instrumente, aber es fehlten uns Marimbas. Ausschlaggebend war hier die Unterstützung der Abteilung für Klassische Schlagzeug von Thomann und Adams, die uns ein sehr gutes Angebot gemacht haben und so konnten Maxime Pidoux und Pieter Roijen jeweils die neuen Adams Apex Frame Marimbas-Modelle kaufen, wirklich tolle Instrumente! Damit war das Instrumentenproblem gelöst.

Glück ist, wenn die Marimbas da sind! | Foto: Claudio Estay

Wie man ein solches Projekt finanziert

Aber wir hatten weder ein Studio noch ein Label noch eine Finanzierung für die CD. So kamen wir auf die Idee, die Freunde des Nationaltheaters in München zu befragen. Dieser eingetragene Verein fördert seit vielen Jahren Projekte und Musiker des Nationaltheaters und stand der Idee sehr positiv gegenüber, uns bei der Finanzierung eines Großteils der Produktionskosten zu unterstützen.

Es gibt nicht viele Aufnahmen der Schlagzeuggruppen aus den Reihen der Orchester. Es scheint, dass klassische Schlagzeuger entweder im Orchester oder in Ensembles spielen. Ich persönlich freue mich sehr, dass diese Trennung bei den neuen Generationen immer weniger wird.

Den Leuten beim Freunde des Nationaltheaters in München e.V. gefiel die Idee, eine Schlagzeuger-CD mitfinanzieren zu können, das war etwas ganz Neues. Wir entschlossen uns, das noch fehlende Geld zu sammeln, indem wir unsere Gebühren für Kammermusikprojekte, die wir auf dem Kalender hatten, zusammenlegen, um den Rest der Kosten zu decken.

Das Schlagzeug wurde mit großer Sorgfalt mikrofoniert | Foto: Claudio Estay

Wer nimmt die Musik auf?

Zu unserem Glück kam dazu, dass wir an der Bayerischen Staatsoper eine Gruppe hochmotivierter junger Leute in der Audioabteilung haben. Tonmeister Sven Eckhoff und sein Team Florian Wegmann und Georg Schreiter hatten das Tonstudio neben dem Proberaum des Opernorchesters renoviert. Ein neues Mischpult und neue Mikrofone für die Online-Konzertübertragung standen uns zur Verfügung.

Wir hatten ein paar Mal mit dem Team zusammengearbeitet und es war äußerst professionell und sehr angenehm. Als ich ihnen von unserem Projekt erzählte, war das Team sofort bereit, wieder mit uns zusammenzuarbeiten. Wir hatten bereits ein Tonstudio, Technik und das gesamte Team. Das waren sehr gute Nachrichten!

Und wer veröffentlicht die Musik?

Aber uns fehlte noch ein Plattenlabel. Denn wenn man kein Plattenlabel hat und eine CD aufnimmt, auch wenn man ein gutes Programm hat, der Klang sehr gut ist und alles perfekt, hat diese CD dann nur eine Funktion: Sie ist ein Geschenk für die Verwandten an Weihnachten. Ohne eine Plattenfirma fehlt auch die gute Promotion. Und hier hatten wir wieder viel Glück, denn dieses Jahr hatte die intensive und wundervolle Arbeit von Guido Gärtner und Mirjam Nix begonnen bei einem Plattenlabel der Bayerischen Staatsoper: Bayerische Staatsoper Recordings.

Mit den ersten Konzertproduktionen mit Maestro Petrenko oder mit Opernproduktionen, unter anderem mit Persönlichkeiten wie Marlis Petersen, Jonas Kaufmann oder Simon Stone, hatte das aufstrebende Label großen Erfolg. Aber es war wieder unsere Idee, eine Percussion-CD zu präsentieren, die sie faszinierte. Nun, wir hatten ein Label!

Ein neuer Tonmeister muss her

Alles lief sehr gut, aber leider konnte der Operntonmeister Sven Eckhoff, der die gesamte Aufnahme leiten sollte, das Projekt aus familiären Gründen nicht durchführen. Und wir hatten wieder ein Problem: Wer könnte so ein Projekt aufnehmen? Es ist nicht leicht, in Deutschland einen Toningenieur zu finden, der sich so gut mit Latin Jazz auskennt.

Konzentriert bei der Sache | Foto: Claudio Estay

Aber wir zögerten nicht, denjenigen zu benennen, der für unseren Geschmack der Beste ist! Einen Mann, der in Spanien unter anderem mit Chick Corea, Michel Camilo oder Paco de Lucía zusammengearbeitet hat. Ein Mann, der den Stil perfekt kennt und mit dem wir vor einigen Jahren zusammen mit dem Komponisten Oriol Cruixent, Carlos und mir eine CD aufnehmen konnten. Der Anruf war dringend und die Antwort war schnell: Wir hatten Ferran Conangla im Team.

Die Aufnahmen – schwieriger als gedacht

Die Aufnahmen haben wir zwei Tage nach Ende der Opernsaison gemacht. Wir waren sehr müde von den letzten Konzerten und Opernaufführungen und mussten kraft für noch drei Tage Aufnahme reservieren. Und so stellten wir fest, dass viele von uns, obwohl wir mit unserem Orchester viele CDs aufgenommen hatten, mit Maestro Petrenko, Maestro Kent Nagano oder Maestro Zubin Mehta, nicht so viel Erfahrung mit dieser Art der Aufnahme hatten. Thomas März zum Beispiel ist seit über 20 Jahren Mitglied des Orchesters und hat mit vielen großartigen klassischen Musikern gespielt und aufgenommen. Aber außer ihm hatten viele von uns wenig Erfahrung mit der Aufnahme von Soloparts auf Marimba oder Vibraphon.

Ein gut ausgestattetes Schlagzeug bei den Aufnahmen musste schon sein | Foto: Claudio Estay

Es ist eine Sache, bei einem Konzert Drumset im Orchester zu spielen, eine andere, mit einem Klick aufzunehmen. Um mit Klick aufnehmen zu können, haben wir die letzten zehn Tage auch mit Klick geübt. Wir haben kleine MIDI-Aufnahmen gemacht, um alles vorzubereiten. Jedes Ensemblemitglied studierte privat mit diesem musikalisch unbequemen MIDI, aber mit allen Bedingungen, die wir später im Studio haben würden.

Eine andere Sache: Wir mussten das Ensemble aus akustischen Gründen trennen; Marimbas und Vibraphone in einem Raum und Drumset und Latin Percussion in einem anderen. Wir hörten uns nur über Kopfhörer und kommunizierten über Mikrofon. Für einige von uns war es sehr schwierig, dieses Konzept zu erlernen und sich daran zu gewöhnen. Man muss sich selbst überzeugen, sich so zu hören. Man ist kein Element des Orchesters mehr, das die Trommel, das Tamburin oder die Becken spielt, aber jetzt wird das eigene Solo aufgenommen. Ist anders.

Ein Blick in den Aufnahmesaal | Foto: Claudio Estay

Carlos und ich hatten aufgrund unserer lateinamerikanischen Herkunft ein paar Mal CDs mit populärer Musik aufgenommen und wussten, worauf wir hinauswollten. Aus diesem Grund hatte Carlos nicht nur viel Zeit in die musikalischen Arrangements investiert, sondern auch in die Anpassungen für unsere Instrumente und noch besser in den Proben- und Aufnahmeplan. Er war dafür verantwortlich zu entscheiden, an welchen Tagen und in welcher Reihenfolge aufgezeichnet werden sollte. Wir haben viel über diesen Plan gesprochen und wussten, dass wir die Aufnahmen in drei Tagen fertigstellen mussten.

Die Aufgabenverteilung während der Aufnahmen

Es war eine Freude zu sehen, wie Maxime Pidoux seine Parts, seine Soli und seine Begleitungen perfekt eingespielte. Andererseits war Carlos bei jedem seiner Soli sehr anspruchsvoll, wiederholte und korrigierte jedes Detail. Pieter Roijen zeigte sich wie immer: der stabile Stein des Ensembles, der Carlos und Maxime in ihren Soli fliegen lässt, ein wesentliches Mitglied des Ensembles. Thomas März und ich waren dafür verantwortlich, das Tempo, den Puls zu halten und alles in Groove zu spielen, die meiste Zeit getrennt vom Ensemble, aber immer versuchend die Empfindungen unserer Kollegen zu spüren.

Während der Aufnahmen in der Regie | Foto: Claudio Estay

Als sechstes Mitglied luden wir als Gast unseren Akademiker Tómas Toral ein, einen neuen Part zu übernehmen, der die Harmonie und die Farben bereicherte. Tómas ist ein junger Schlagzeuger, der sicher eine große Karriere vor sich hat. Seine Unterstützung war sehr positiv. Nach dem dritten Tag war es ein sehr angenehmes Gefühl zu sehen, wie wir es geschafft haben, alles nach dem vereinbarten Plan zu machen.

Was nun folgt

Jetzt müssen wir auf den Mix und das Mastering von Ferran Conangla aus Barcelona warten. Sicherlich wird er uns die Dateien über eine Internetplattform zusenden und wir müssen anhören und anhören und anhören und korrigieren und anhören, dann zurückgeben und wieder korrigieren, bis wir etwas finden, das uns gefällt und das auf dieser CD sein wird.

Die CD dieser Aufnahmen repräsentiert einen wahr gewordenen Traum, unseren ersten Traum. Das Ensemble der Schlagzeuggruppe der Bayerischen Oper. Die CD soll im Februar 2022 erhältlich sein.

Claudio Estay

Keine Kommentare zu “OPERcussion spielt Latin-Jazz in der Staatsoper München”
  1. Sehr guter aufschlussreich und lebendiger Artikel, der Lust auf diese CD macht! Freun uns drauf,

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