Pedalflügel – ein Klavier, das man mit Händen und Füßen spielt

In Zwickau steht Robert Schumanns Pedalflügel

Peter Synofzik am Pedalflügel | Foto: Helge Gerischer

Der Stolz ist Thomas Synofzik, dem langjährigen Direktor des Zwickauer Robert-Schumann-Hauses, deutlich anzumerken: „Dieser Pedalflügel ist das einzige, historisch spielbare, intakte Instrument in einer öffentlichen Institution in Deutschland.“ Damit meint der promovierte Musikwissenschaftler, 2021 mit dem Robert-Schumann-Preis der Stadt Zwickau ausgezeichnet, ein ganz besonderes, vor 15 Jahren restauriertes Tasteninstrument, das im Juni 2010 eingeweiht wurde und seitdem einer der Besuchermagnete des Museums ist. „Den Flügel selbst hat der Cousin von Clara Wieck gebaut, und das damit kombinierte Pedalier stammt von Wilhelm Hierl aus Berlin.“ Nachgefragt: Ist das nun ein Flügel, den man mit Händen und Füßen wie auf einer Orgel spielen kann?

Thomas Synofzik ist genau dafür der versierte Ansprechpartner. Schließlich hat er zusätzlich „Historische Tasteninstrumente“ in Köln und Brüssel studiert: „Als Robert Schumann 1845 anfing, sich mit Orgelkomposition zu beschäftigen, hat er schnell festgestellt, dass er noch Praxis nachholen musste. Deshalb hat er sich um ein solches Pedalinstrument bemüht. Schließlich hat er es zur Miete von einem Dresdner Chorleiter erhalten und sich dann monatelang damit auseinandergesetzt.“ Robert Schumann habe ausgeprägte Kompositionsphasen gehabt und jahresweise sehr systematisch komponiert. „1845 ist, wenn man so will, sein kontrapunktisches Jahr. Abgesehen von den Fugen op.72 für Klavier solo sind alle anderen drei Opera op. 56, 58 und 60, die von ihm in diesem Jahr vollendet wurden, für den Pedalflügel komponiert.“

Das Instrument der Zukunft?

Unscheinbar sieht er aus, wie er so dasteht, dieser ganz besondere Flügel. Wie funktioniert das Pedal genau? Unter der Pedalklaviatur verliefen Saitenchöre, erklärt der 1966 in Dortmund geborene Musikwissenschaftler, die mit einer Hämmer-Mechanik am hinteren Ende angeschlagen würden.

Pedalflügel Detailansicht | Foto: Helge Gerischer

Warum hat Schumann nicht viel mehr dafür komponiert? Überhaupt: Warum ist die Kompositionslage für Pedalflügel insgesamt so übersichtlich, um nicht zu sagen, spärlich? Synofzik zitiert: „In einem Brief an Graf Michael von Wielhorsky vom 20. Mai 1845 bezeichnete Robert Schumann den Pedalflügel noch als ‚Instrument der Zukunft'“. Er schmunzelt: „Das hat sich zwar nicht so ganz bewahrheitet. Aber inzwischen erwacht wieder das Interesse, was man unter anderem daran sieht, dass neuerdings eine Firma in Italien den Pedalflügel wieder serienmäßig herstellt. Das zeigt: er bleibt interessant.“ Gemeint ist der italienische Pianist Roberto Prosseda, größter Pedalflügelexperte weltweit, der 2014 auf dem Zwickauer Instrument sämtliche von Schumann dafür komponierten Stücke gespielt hat. Synofzik selbst bespielt den Pedalflügel im Rahmen der jährlichen Museumsnächte mit kleineren Konzerten ebenfalls regelmäßig.

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Domkantor in Zwickau initiiert Pedalflügel-Projekt

Spannend in diesem Zusammenhang: Im Mai 2025 fanden außergewöhnliche Pedalflügel-Konzerte statt, die auf die Initiative des Zwickauer Domkantors von St. Marien, Karl Joseph Eckel, zurückgehen. Der ist mit seinen 26 Jahren nicht nur der selbsterklärte jüngste Domkantor Deutschlands, sondern hat auch seine Masterarbeit über die BACH Fugen op. 60 von Robert Schumann geschrieben. Als er letzten Sommer nach Zwickau wechselte, blieb er mit seinem einstigen Hochschul-Professor Martin Schmeding vom Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig weiter in engem Austausch. Schmeding wiederum legte 2005 die bisher einzige CD-Gesamteinspielung von Schumanns Pedalflügelwerken vor.

Karl Joseph Eckel | Foto: Ron Kuhwede

„Ich bin weiterhin mit ihm in Kontakt geblieben und daraus entstand die Idee für das Wandelkonzert im Mai“, so der erfrischende, junge Domkantor. „Ich dachte, es wäre doch cool, wenn die Leipziger Studierenden – weil es ja auch die Entfernung hergibt – hier nach Zwickau kommen und nicht nur ihren ehemaligen Kommilitonen in seiner neuen Arbeitsstätte erleben, sondern sich auch am historischen Pedalflügel ausprobieren können, wozu man selten Gelegenheit bekommt.“

Dabei hat Eckel hat auch sonst beruflich jede Menge zu tun: Er betreut sowohl die chorsinfonischen Aufführungen in St. Marien, erledigt sämtliche Aufgaben rund um die Orgel wie Konzerte, Führungen und Gottesdienste und leitet die Arbeit mit verschiedenen Chören von jung bis alt. Das scheint ihn aber nicht auszulasten: „Neben dem sonst eher ‚klassischen‘ Orgel-Repertoire habe ich auch schon mal Titelmelodien wie ‚Game of Thrones‘ oder ‚Herr der Ringe‘ an der Orgel interpretiert und Filmmusik für Orgel, Percussion und Posaune.“

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Wie wird man in so jungen Jahren Domkantor? Was reizt ihn am Orgelspiel? „Einmal die Historizität der Instrumente, die oft schon Jahrhunderte alt sind. Ich habe zuvor in Naumburg an der Saale in der St. Wenzelskirche gearbeitet, wo die weltberühmte Orgel von Zacharias Hildebrandt steht, auf der Johann Sebastian Bach selbst nachweislich gespielt hat. Das ist schon ein erhebendes Gefühl, wenn man dieselben Tasten wie Bach unter seinen Fingern spürt. Und zweitens hat man diesen riesigen Raum und dieses Kirchenschiff samt der ganzen Verantwortung für sich. Ein tolles Gefühl.“

Weshalb haben ihn die BACH-Fugen Schumanns so gepackt, dass er sie zum Gegenstand seiner Master-Arbeit gemacht hat? „Die BACH Fugen op. 60, die ausdrücklich für Pedalflügel oder Orgel geschrieben sind, hat Schumann zuerst für den Pedalfügel geschrieben, sich aber später in die Dorfkirche in Maxen bei Dresden an die Orgel gesetzt und geprüft, wie sie dort funktionieren. Und hat dann nachträglich noch ein paar kleine Änderungen vorgenommen. Clara und Robert Schumann fehlte die Pedaltechnik, sie waren keine wirklichen Organisten. Auch in den ‚musikalischen Haus- und Lebensregeln‘ aus dem Jahr 1850 kommt die Orgel immer wieder vor. Da sagt Schumann sinngemäß: ‚Es gibt keinen strengeren Lehrer, der sich so stark rächt im Tonsatz wie die Orgel.‘ Sprich: Den richtigen Tonsatz lernt man nur an der Orgel. Er hat ihr also eine große Bedeutung zugemessen.“

Ein ganz besonderes Konzertprojekt

Was genau waren das für Wandelkonzerte, die er im Mai organisiert hat? Eckel: „Die Entfernung beim Wandelkonzert zwischen Robert-Schumann Haus – am Pedalflügel – und dem Dom St. Marien – an der Orgel – beträgt wenige Meter Luftlinie. Bei den Studien op. 56 und den Skizzen op. 58 für Pedalflügel wechselten die Studierenden von Satz zu Satz. Schon am Tag vorher hatte Professor Schmeding einen Meisterkurs angeboten, in dem unter anderem der Unterschied zwischen der Orgel und dem Pedalflügel Thema war.“ Dabei habe Schmeding Fragen behandelt, wie: „Was macht man mit dem rechten (Dämpfer)-Pedal, das man vom Klavier her kennt? Wie und warum verändern sich die Fußsätze?“

Orgel St. Marien | Foto: Karl-Joseph Eckel

Eckel berichtet auch aus eigener Erfahrung: „Wenn man gut Orgel spielen kann, heißt das noch lange nicht, dass man mit dem Pedalflügel gut zurechtkommt. Nicht nur die Anschlagsdynamik ist komplett unterschiedlich, auch die Sensibilität, die man im Fuß haben muss.“ Dann geht er nochmal tiefer ins Detail: „Robert Schumann hat seine Studien als Kanones in verschiedenen Lagen geschrieben. Einmal als Unisono-Kanon, dann in einer Oktave, in der Unterquinte usw. Das sind kontrapunktische Studien, die in seinem persönlichen Krisenjahr entstanden sind. An der Orgel hat man nicht die Möglichkeit, die eine oder andere Stimme zum Bespiel dynamisch lauter hervorzuheben. Aber am Pedalflügel kann man das ideal machen.“ Er ist fest überzeugt: „Wenn man sich als Organist einmal mit dem Pedalflügel beschäftigt hat, schaut man danach auf die Orgel anders, mehr aus einer pianistischen Warte.“ Und vermutet: „Pianisten wiederum haben sicherlich mehr Probleme mit der Pedaltechnik eines Pedalflügels, Organisten mehr mit der Anschlagsdynamik der Klaviatur.“

Eine Einschätzung, die Thomas Synofzik nur zum Teil bestätigen kann: „Zu uns kommen gestandene Organisten ins Haus, die mit dem Pedalflügel ein Problem haben. Von der Orgel sind sie gewöhnt, dass sie die Füße von einem zum anderen Pedal rutschen lassen können. Das funktioniert hier nicht. Bei dem Hierl-Pedalier müssen sie jede Taste einzeln anschlagen.“

Die Tasten sind flacher und leichter als bei modernen Flügeln

Und was sagen die Studenten selbst, die im Mai in den Wandelkonzerten gespielt haben? Die 27-jährige Yeseul Yo, derzeit im zweiten Semester des Masterstudiengangs ist Orgelstudentin in Leipzig bei Professor Schmeding. Ihre Erfahrung beschreibt sie so: „Bevor ich mit dem Orgelspiel begann, habe ich viele Jahre lang Flügel gespielt. Daher ging ich zunächst davon aus, dass mir das Spielen auf dem Pedalflügel keine großen Schwierigkeiten bereiten würde. Beim ersten Kontakt mit dem Instrument war ich jedoch überrascht: Die Tasten waren flacher und leichter als bei modernen Flügeln.“ Zwar reagiere der Pedalflügel – ähnlich wie ein moderner Flügel – stark auf Anschlagsdynamik und Klangfarbe, „doch wie bei der Orgel spielen auch Anschlagszeitpunkt und Tondauer eine entscheidende Rolle, was ich sehr spannend fand“.

Yeseul Yo | Foto: privat

Das Pedalspiel sei besonders herausfordernd. „Wir sollten möglichst auf den Einsatz der Ferse verzichten, gleichzeitig aber das Dämpferpedal bedienen – das war technisch anspruchsvoll. Zudem bleibt der Ton im Gegensatz zur Orgel nicht bestehen, wenn man die Taste gedrückt hält. Und das Dämpferpedal wirkt nicht auf das Pedalwerk.“ Der Klang habe sich deutlich von dem eines modernen Flügels unterschieden: „Er erinnerte mich eher an ein Cembalo.“

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Auch sei sein Klang, verglichen mit dem der Orgel, ganz anders. „Bei der Orgel werden die Klangfarben vor dem Spiel festgelegt, was zu einer größeren klanglichen Dimension und starken Kontrasten führt. Beim Pedalflügel hingegen entstehen die Nuancen durch den Anschlag.“ Insgesamt sei der Pedalflügel-Klang besser geeignet für kleinere Räume oder Hauskonzerte. „Auf YouTube habe ich zudem Pedalflügel gesehen, die in der heutigen Zeit gebaut wurden und klanglich deutlich näher am modernen Flügel sind – offenbar hängt der Klang sehr vom Baujahr des Instruments ab“.

Julien Landers am Pedalflügel | Foto: privat

Auch der erst 20-jährige Julien Landers, ebenfalls Orgelstudent bei Schmeding, fand die Erfahrungen in Zwickau aufregend: „Obwohl das Pedal wie ein Orgelpedal wirkt, ist doch das Besondere an ihm, dass es auf den Anschlag reagiert: Wenn man also die Pedaltaste fest anschlägt, kommt auch ein fester Ton heraus. Das ist man vom Orgelspiel anders gewöhnt.“ Dass Schumann darin das „Instrument der Zukunft“ gesehen habe, kann er unbedingt nachvollziehen. Und bedauert, dass es sich nicht durchgesetzt hat. Er meint: „Pedalflügel findet man leider nirgends. Er reizt mich ungeheuer und eine Weiterentwicklung fände ich extrem interessant.“ Roberto Prossedas Instrumente scheinen also eine echte Zukunft zu haben.

Das Klavier fasziniert dich? Du spielst vielleicht sogar selbst? Übst du auch „richtig“? Hier gibt es Informationen dazu: www.musikmachen.de/orchester/richtig-ueben-am-musikinstrument/

Keine Kommentare zu “Pedalflügel – ein Klavier, das man mit Händen und Füßen spielt”
  1. Vera Giese

    Der italienische Pianist Roberto Prosseda spielt seit 2011 mit dem von ihm angeregten trasnsportablen modernen Pinchi-Pedalsyflügel-System weltweit Pedalflügel-Konzerte mit Werken von u.a. Bach, Mozart, Schumann, Alkan, Boely und Gounod , in Deutschland auch in Berlin, Weimar und Stuttgart, Schwetzingen.
    2023 entwickelte und baute der bekannte Klavierbauer Chris Maene für ihn ein spezielles Straight-Strung-Pedal Piano – die deutsche Premiere mit Prosseda auf diesem neuen Pedalflügel steht noch aus!

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