Und weshalb zu viel leicht falsch sein kann

Wieviel Watt dein Gitarrenverstärker haben sollte

| Foto: Shutterstock von Zoran Milutinovich

Als Gitarrist wirst du schnell mit der Frage konfrontiert, welche Leistung dein Verstärker sinnvollweise haben sollte. Dein Blick fällt auf die Leistungsangaben; keine Frage, du möchtest soviel wie du dir leisten kannst. Wieviel Watt dein Amp aufzuweisen hat, hat allerdings wenig mit Lautstärke und noch weniger mit Sound zu tun. Hier ein paar Informationen zu den Zusammenhängen:

Check it: Wieviel Watt für Sound und Lautstärke sinnvoll sind

  • Eine Frage der Perspektive und Herangehensweise
  • Nicht auf verkehrte Rechnungen hereinfallen
  • Von Headroom, Sättigung bis Soundanforderungen
  • Röhre im Vergleich mit Solid State
  • Megapower als Relikt vergangener Tage

Wieviel Watt du im Wechselspiel von Sound und Lautstärke benötigst

Nicht selten trifft man bei der Vorstellung von Wattzahl, Leistung und Lautstärke eines Verstärkers auf überzeugtes Halbwissen. Kein Wunder, die Thematik ist komplexer, als auf den ersten Blick vermutet. Du bist auf der Suche nach dem richtigen Verstärker für deine E-Gitarre. Dabei möchtest du bei optimalem Sound im Band-Kontext durchsetzungsfähig, also laut genug sein.

Verständlicherweise wandert dein Blick auf die Watt-Angaben, die du automatisch mit Band- und Bühnen-tauglicher Leistung gleichsetzt. Das kann die richtige Herangehensweise sein, muss es aber nicht. Wieviel Watt der Amp sich auf die Messlatte schreibt, ist noch keine Aussage für den funktionierenden Sound.

Exponentiell und eben nicht lineare Berechnung

Gemeinhin wird angenommen, dass die doppelte Wattzahl zugleich die doppelte Lautstärke bedeutet. Exakt das aber ist ein Fehlverständnis. Tatsächlich bezieht sich die Wattzahl als physikalische Einheit auf die Leistung, was jedoch nicht gleichbedeutend mit Lautstärke ist. Die verdoppelte Leistung sorgt nur für vergleichsweise wenig dB mehr an realer Lautstärke.

Es wird lauter, aber eben nicht doppelt so laut. Doppelte Leistung bedeutet 3 dB mehr, doppelte – subjektiv wahrgenommene – Lautstärke hingegen bedeutet 10 dB mehr; selbstverständlich verglichen unter gleichen Bedingungen. Die Rechnung erfolgt logarithmisch, also exponentiell und nicht linear.

Ließen wir die Einflüsse von Boxen und Co. außer Betracht, würde die Umrechnung so aussehen:

  • 100 Watt = 50,000 dBm
  • 50 Watt = 46,990 dBm
  • 30 Watt = 44,771 dBm
  • 15 Watt = 41,761 dBm

Und schon siehst du plakativ, wie gering der Lautstärkeunterschied im Verhältnis zur Wattzahl ist.

Mit wieviel Watt der Amp wann in die Sättigung getrieben wird

Wieviel Watt dein Amp dir zur Verfügung stellt, ist vielmehr ausschlaggebend für den Punkt, ab dem die Endstufe – sofern wir von Röhrenverstärkern reden – in die Sättigung getrieben wird. Das will sagen: Die Wattzahl ist eher sound- als lautstärkeentscheidend. Ein Röhrenverstärker mit 100 Watt hat mehr Headroom als sein Kamerad mit 50 Watt, wird also länger clean bleiben. Im Umkehrschluss bedeutet das für den Verstärker mit 50 Watt (oder weniger), dass die Endstufe früher verzerrte Sounds mit warmer Kurve liefert.

Sättigung bedeutet nicht „Magen voll“, sondern warmer Sound | Foto: Shutterstock von Puengpm

Fettere Bauteile sind logischerweise kostspieliger

Logisch, dass die Hersteller ihre Produkte gerne mit hohen Zahlen schmücken, was sich auf darauf bezieht, mit wieviel Watt die Amps angegeben werden. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die höhere Leistung automatisch auch nach mehr und anderen Bauteilen verlangt, so beispielsweise mehr Röhren verbaut werden. Vor allem betrifft das aber den Ausgangs-Trafo. Je höher die Wattzahl, umso größer muss der Trafo sein. Selbstredend sind solche Verstärker im Normalfall auch teurer.

Gut nachvollziehen kannst du das bei diesen beiden Modellen von Vox. Während der größere mit vier Endstufenröhren bestückt ist, benötigt der kleinere lediglich zwei. Ebenso besitzt der 30er zwei 12‘‘-Speaker, der 15er nur einen. Aber auch der AC15 hat Blues-Geschichte geschrieben:

Vox AC30 C2
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Vox AC15 C1
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Verbleibt die Frage, ob du diese Leistung überhaupt benötigst und ausspielen kannst. Um mit einem 100 und mehr Watt starkem Verstärker den für dich optimal gezerrten Sound zu realisieren, wirst du ihn gemeinhin englisch – alle Regler auf volle Pulle – aufreißen müssen. Zerrsounds in moderater Lautstärke lassen sich kaum umsetzen. Weitaus leichter funktioniert das mit Röhrenverstärkern, die sich im Bereich zwischen 15 und 50 Watt bewegen. Verantwortlich dafür ist die leichtere Ansprache von Vor- und Endstufe.

Röhrenverstärker im Vergleich mit Transistor-Amps

Transistorverstärker – Solid State Amps – klingen aus bautechnischen Gründen weniger warm und homogen als Röhrenverstärken. Stattdessen ist der Sound eher kalt und weniger dynamisch. Das kann für deine eigenen Soundvorstellung durchaus die passende Wahl sein; schließlich ist Sound immer eine Geschmacksfrage, bei der du dir nichts vorschreiben lassen solltest. Immerhin lassen sich spezielle Nuancen auch mit Effektgeräten erzielen, so du das möchtest.

Wissen solltest du, dass Röhren-Watt nicht mit Transistor-Watt gleichgesetzt werden kann. Der Unterschied ist sogar – auch für die Frage, wieviel Watt du benötigst – immens. Wenn du dich für einen Solid State Amp entscheidest, solltest du auf Modelle mit vergleichsweise mehr Leistung setzen, um durchsetzungsfähig zu sein.

So tönt ein klassischer Vox AC30 mit seinen 30 Röhren-Watt lauter als – abhängig von der internen Schaltung – ein Transistorverstärker mit 70 Watt. Und schlichtweg niemand würde ihm eine zu geringe Lautstärke ans Revers heften. Buchstäblich hat der „kleine“ AC30 Musik- und Soundgeschichte geschrieben. Siehe allein Brian May von Queen, der mit spezieller Schaltung neun davon übereinandergestapelt und dadurch seinen unverkennbaren Sound entwickelt hat.

Grenzbereich der einsetzenden Kompression nutzen

Die für den angenehmen Sound beim Röhrenverstärker hauptverantwortliche Komponente ist der Grenzbereich, in dem die Endstufe komprimiert und für harmonische Verzerrungen sorgt. Leicht nachvollziehbar, dass du diese gewollte Kompression umso schneller erreichst, je weniger Watt der Verstärker hat. Vor diesem Hintergrund müsste die Antwort auf die Frage, wieviel Watt der Verstärker haben sollte, lauten: Nur so viel, wie er für seine Monitor-Aufgaben unbedingt benötigt.

Anders verhält sich das, wenn du cleane Sounds bevorzugst und die auch wie beispielsweise im Reggae durchsetzungsfähig laut zum Besten geben willst. In diesem Fall profitierst du von großen Headroom leistungsstarker Verstärker, der eben dafür sorgt, dass die Endstufe nicht zu früh in die Sättigung getrieben wird.

Bedeutung der Speaker im Kontext der Lautstärke

Tatsächlich ist der Einfluss der Lautsprecher keinesfalls zu unterschätzen. Ein gebräuchlicher Lautsprecher liefert bei einem Input von lediglich einem Watt bereits eine Lautstärke von 95 bis 100 dB, vergleichbar mit der Lautstärke einer Kreissäge. Je nach verwendeter Boxenbestückung, ob beispielsweise mit zwei oder vier Lautsprechern, erhöht sich der Output.

Auch die Boxen entscheiden über Sound und Lautstärke | Foto: Shutterstock von Postnyi Leonid und BK foto

Weshalb die gigantischen Amps zu verstaubten Relikten werden könnten

Gitarristen protzen gerne mal mit hohen Wattzahlen in ihrem Setup. Um zu beurteilen, ob das noch zeitgemäß ist, müssen wir einen Blick auf aktuelle und längst vergangene Realitäten werfen. In den frühen Tagen von Rock, Rock’n’Roll, Blues & Co. waren die PA-Anlagen noch reichlich unterentwickelt. Solche Dimensionen der Frontanlagen wie heutzutage waren damals schlichtweg nicht vorhanden. Nicht mal denkbar.

Verstärker und Übertragungstechnik im Wandel der Zeit

Wer sich die Mitschnitte von Konzerten der Beatles vor ausverkaufter Halle anschaut, weiß wovon die Rede ist. Die Pilzköpfe wurden mit ihren für heutige Verhältnisse mickrigen Gesangsanlagen von ihren kreischenden Fans bis zur Unhörbarkeit niedergebrüllt. Die Gitarrenverstärker mussten Teil der kümmerlichen Frontanlagen sein und gingen heillos unter.

Wieviel Watt sie benötigten? Soviel wie irgend möglich. Also setzten die Hersteller auf möglichst hohe Wattzahlen, was durchaus kuriose Stilblüten trieb, so etwa mit dem 280 Watt starken Marshall Major von Ritchie Blackmore, dem ehemaligen Gitarristen von Deep Purple. Tinnitus und Gehörverlust auf der Bühne inklusive.

Früher mussten Gitarrenverstärker fett sein; heutzutage nicht mehr | Foto: Shutterstock von rob zs

Aktuelle Anforderung: Soundlieferant und Monitor

Aufgrund der Entwicklungen der Verstärker-, Lautsprecher- und gesamten Instrumentenindustrie gehören diese Szenarien glücklicherweise der Vergangenheit an. Und das nicht erst seit gestern. Heutzutage hat der Verstärker auf der Bühne nicht mehr die Aufgabe, das Publikum zu beschallen. Stattdessen ist er nahezu ausschließlich für den Sound und das Monitoring verantwortlich. Das wiederum bedeutet, dass wir uns vermehrt auf den perfekten Sound bei verträglicher Lautstärke konzentrieren können.

Dem Mischpult und der Front-PA ist es schlichtweg gleichgültig, ob das Abnahmemikro vor einem Verstärker mit 100 oder 15 Watt hängt. Deine Ohren hingegen werden sich ehrfurchtsvoll bei dir bedanken, wenn du sie nicht mit gigantischer und ebenso unnötiger Lautstärke erschlägst.

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