Tag ohne Musik als Hommage an die Musik: Sinnvolles Paradoxon

Einfach mal die Stille ertragen

| Foto: von Ina Germer

Den Tag ohne Musik – No Music Day – am 21. November könnte man leicht in den falschen Hals bekommen. Immerhin ließe sich glauben, dass allesamt still sein sollen, weil Musik nervt, zu laut ist, uns das Hirn verwässert oder sonstige Kuriositäten. So wie beispielsweise ein Auto-freier Tag das vorhandene Übel der Luftverschmutzung abmildern soll. Tatsächlich aber ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Die Stille am Tag ohne Musik soll unser Bewusstsein für das Wunderbare der Musik schärfen. Also setzen wir uns auf musikalischen Entzug.

Fettes Brett – absoluter Musikverzicht

Das ist schon ein fettes Brett, was da in den unterschiedlichsten Ländern an diesem Tag gebohrt wird. 24 Stunden lang keine Musik hören, keine Musik machen. Bei den Chorknaben herrscht Stille. Geburtstagsständchen werden allenfalls in Schriftform vorgetragen; Philharmoniker und Metal-Stars sind in der Stille vereint. Kein Mensch weiß, ob musikalische Profis einen Tag Sonderurlaub einreichen oder Überstunden abbauen müssen. Tatsächlich verzichtete die BBC Radio Scotland an diesem Tag im Jahr 2007 komplett darauf Musik auszustrahlen.

Die Stille ertragen | Foto: von Ina Germer

Innehalten gegen akustischen Alltagsmüll

Zurück geht der seit 2005 stattfindende Aktionstag auf eine Initiative des britischen Musikers und Konzeptkünstlers Bill Drummond. Bill ist insbesondere in der experimentellen Musikszene kein Unbekannter, stattdessen Mitbegründer der in der elektronischen Tanzmusik ehemals einflussreichen britischen Band „The KLF“. In den Charts vertreten war die Band zwischen Mitte 1988 bis Frühjahr 1992.

Die „Kopyright Liberation Front“ nahm es kurioserweise mit dem Copyricht nicht so genau. Vielmehr verwendeten die Band in ihrer Musik ebenso gerne wie freizügig auch Samplings aus Songs anderer Künstler. Okay, wie dem auch sei. Eben dieser Bill Drummond war und ist der Meinung, unser Alltag sei inzwischen akustisch derart zugemüllt, dass wir dringend und bewusstseinskonzentriert innehalten müssen. Und mit dieser Meinung steht er nicht allein dar.

Außergewöhnliches nicht als selbstverständlich empfinden

Klar sollte uns allen sein, dass ein Gefühl nur die Bedeutung hat, die man ihm verleiht. So ganz von alleine kommt das sicher nicht. Sobald etwas zur Selbstverständlichkeit wird, verliert es seinen Stellenwert, was in zahlreichen Fällen mehr als schade ist. Der Überfluss, in dem wir hierzulande leben, verwässert leicht mal den Blick fürs Wesentliche. Das beginnt bei den Nahrungsmitteln, reicht über die Energieversorgung, die jederzeitige Verfügbarkeit von Strom und Wasser und endet bei den Luxusgütern noch lange nicht. Etwas, das immer vorhanden ist, scheint uns nicht mehr außergewöhnlich zu sein. Auch vor diesem Hintergrund wird der Ruf nach ein wenig Demut immer lauter.

Lückenlos beschallt und zugekleistert wie eine Raufasertapete

Buchstäblich beschallen wir unser Leben immer lückenloser. Als Resultat wird die Musik dabei zum Schattendasein im Hintergrund degradiert. In den Stores werden wir von Musik eingelullt, damit wir von Geld, das wir nicht haben, Dinge kaufen, die wir nicht benötigen. Wir werden von unreflektierter Musik dichtgekleistert wie eine Raufasertapete. Und das Ende vom Lied ist – im wahrsten Sinne des Wortes – dass das Lied nicht mehr wahrgenommen wird.

Ohrwürmer gibt’s nur noch auf Malle und da ist es auch seit fast zwei Jahren still. Kunstgenuss wird ausgetauscht gegen ein reizüberflutetes Schwarmgehirn, in dem das Mindesthaltbarkeitsdatum selbst der genialsten Songs innerhalb kürzester Zeit abgelaufen ist. Oder um es mit den Worten des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt auszudrücken: „Musik macht nur dann einen Sinn, wenn sie mehr ist als ein dekoratives Geräusch.“

Let the music be silent: Wir freuen uns auf euer musikalisches Schweigen!

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Eine sehr besondere Aktion, mit der die Bedeutung der Musik klar wurde, gab es im Frühjahr 2020 als musikalisches Statement zum Durchhalten während der Corona-Pandemie. Schaut mal hier: „Musik gegen Corona: Ode an die Freude direkt vom Balkon“.

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